Während über 40 Jahren war Robert Alder (*1941/CH, lebt und arbeitet in Diessenhofen TG) als Entwickler von Computerprogrammen tätig. In dieser Zeit erlebte er nicht nur den wachsenden Einfluss der Computer auf unsere Lebens- und Arbeitswelt, sondern war auch Zeuge der sich verändernden Ästhetik von computergenerierten Bildwelten. Die Videoarbeiten des künstlerischen Autodidakten sind in diesem Kontext zu denken. Das an der Werkschau im Kunstraum Kreuzlingen gezeigte Werk Abwandlung (2015/16) hat Robert Alder mit einem selbstentwickelten Computerprogramm kreiert. Als Ausgangspunkt dient ihm der rechte Winkel, dessen formale Variationen – also Abwandlungen – er programmiert. Die dabei entstehenden, etwa 7000 Einzelbilder arrangierte er mit Hilfe des Computers zu einem Video, das – so der Künstler – den Motiven der Entstehung, der Auflösung, des Verfalls und der Zerstörung folgen. Auch die Tonspur ist, so der Künstler, „eine computergestützte Eigenkomposition“, die auf der Übersetzung programmierter Daten in elektronische Klänge basiert. In ästhetischer Hinsicht referiert die Videoarbeit auch die spezifische Visualität computergenerierter Bilder: Vor einem schwarzen Hintergrund gruppieren sich scheinbar verpixelte geometrische Formen zu immer neuen Mustern, derweil eine ebenfalls mit dem Computer erzeugte Tonspur einen Rhythmus vorgibt. Wir fühlen uns an frühe Videospiele aus den 1980er Jahren erinnert. Dadurch behauptet die Arbeit eine Art Retro-Ästhetik und lebt vom gezielten Rückgriff auf ein vergangenes Formenvokabular. Im Unterschied zur gegenwärtigen Perfektionierung computergenerierter Bilder – gerade auch in der zeitgenössischen künstlerischen Praxis – legt Robert Alder in seiner Videoarbeit die digitale Genese seiner Bildfindungen offen.
Kunstraum Kreuzlingen
Vor dem Regierungsgebäude in Frauenfeld stehen sechs Tierfiguren aus Bronze –Löwe, Eule, Fuchs, Hase, Biber und Wildschwein – von Joëlle Allet (*1980/CH, lebt und arbeitet in Sirnach TG und Winterthur ZH). Fabelhafte Regierung nennt sie die Tiergruppe, deren Zahl derjenigen der Thurgauer Regierungsmitglieder entspricht. Ausgebildet in Design und Bildender Kunst an den Kunsthochschulen in Sierre und Zürich, bedient sich Joëlle Allet mit beeindruckender Leichtigkeit der verschiedensten Materialien und Medien und schafft Plastiken, Skulpturen, Zeichnungen oder Kunst am Bau-Arbeiten, denen oft auch ein humoristisches oder absurdes Element immanent ist. So fertigt sie beispielsweise aus mit Acryllack behandelten Auberginen die hängende Arbeit FRUCTUS MALICIOSUS (2013) oder produziert in AQUARIUM (2014) gläserne, abstrahierte Fischkörper, die als durchscheinende Köder an metallenen Angelhaken hängen. Auch die Thematik des Spiels greift die Künstlerin immer wieder auf. Nach den übergrossen, farbigen Kreiseln ROUNDABOUT, die sie anlässlich der Verleihung des Adolf-Dietrich-Förderpreises 2013 im Kunstraum Kreuzlingen gezeigt hat, präsentiert sie an der Werkschau die Installation Faites vos jeux! Grosse, rechteckige Papierbögen hängen an Silkfäden von der Decke. Dabei sind die leeren Blätter eine Metapher für jenes Moment des kreativen Schaffensprozesses, in dem alle Ideen noch vage, ja gleich der sich im Roulette drehenden Kugel noch in der Schwebe sind. Derweil markieren die im Tiefdruckverfahren des Mezzotinto gefertigten Papierarbeiten Rien ne va plus I und Rien ne va plus II das Moment der Fixierung und der Verfestigung der Ideen.
Galerie Adrian Bleisch Arbon
Seit 2000 realisieren die Komponistin Annette Schmucki (*1968/CH, lebt und arbeitet in Cormoret BE) und der Radiokünstler Reto Friedmann (*1965/CH, lebt und arbeitet in Neunkirch SH) als Blablabor gemeinsam künstlerische Projekte. Die beiden Kunstschaffenden verstehen sich als Forschungsteam, das die akustischen und gesellschaftlichen Dimensionen von Sprache und Wörtern ergründet. In Hörspielstücken oder in Rauminstallationen, die sie für Ausstellungskontexte entwickeln, erforschen sie Klang und Rhythmus von vertrauten und weniger vertrauten Sprachen, erproben die Wirkung von polyphonem Sprechen oder testen die Übersetzung mündlicher Sprachfragmente in Instrumentalklänge. Dabei bedienen sich Blablabor nicht nur der Sprache und Wörter als künstlerisches Material, sondern nutzen auch die akustischen Eigenheiten – das Surren, Knarren und Rauschen – von UKW-Radiogeräten. on/off (2016), die für die Werkschau neu produzierte Arbeit, besteht aus zwei Kuben gestapelter Kofferradios. aus denen – mithilfe versteckter MP3-Player – eine Aufnahme aus dem Maschinenraum der Kehrichtverbrennungsanlage (KVA) erklingt, die von unterschiedlich langen Pausen unterbrochen wird. Die Intervalle der Pausen sind bestimmt durch Zahlen, die Blablabor den Statistiken der KVA über die verbrannte Abfallmenge und den Restmüll beziehungsweise über die investierte und die erzeugte Energie der letzten zwanzig Jahre entnommen haben. Als weiterer Faktor beeinflusst der im Werktitel genannte Mechanismus des ‚on’ und ‚off’ die Rhythmik der Audiospur: Sind die Pausen zu lange, schalten die MP3-Player in den Energiesparmodus und das dröhnende Rauschen der Kofferradios erklingt. Im Laufe der Ausstellungsdauer manifestiert sich zudem – ähnlich wie beim Verbrennen des Abfalls – ein Prozess der Vergänglichkeit. Die Kofferradios weichen immer mehr von den zu Beginn justierten Frequenzen ab und bringen sich durch Fetzen benachbarter Radiofrequenzen als eigenwilliges Medium in die präzise komponierte Installation ein.
Remise Weinfelden zu Gast in der KVA
Esther van der Bie (*1962/CH, lebt und arbeitet in Biel BE) nutzt Fotografie und Video und schafft mitunter raumgreifende installative Arbeiten. In ihrer künstlerischen Praxis setzt sie sich immer wieder thematische Schwerpunkte, die sie über längere Schaffensphasen hinweg verfolgt und zum Gegenstand verschiedener Werkkomplexe macht. Seit längerer Zeit treiben die Künstlerin insbesondere Fragen nach dem Verhältnis zwischen Mensch und Natur und den damit verbundenen ethischen Haltungen und ökologischen Phänomenen um. Themen wie die Idealisierung der Natur, die Ressourcenknappheit, der Klimawandel oder die Überbevölkerung hat sie jüngst im Centre PasquArt in Biel zu einer Ausstellung verdichtet. Anlässlich der Werkschau zeigt sie im Kunstmuseum Thurgau Arbeiten aus der Serie Nach Hiroshige (2015/16), die auch in Biel zu sehen war. Hierfür hat die Künstlerin auf einer Japanreise gefertigte Fotografien, die durch einen digitalen Übertragungsfehler Bildstörungen aufweisen, auf Japanpapier gedruckt und diese den originalen Drucken von Utagawa Hiroshige (1797–1858) gegenübergestellt. Esther van der Bie will die japanische Gegenwart fotografisch so einfangen, dass sie in Komposition und räumlicher Wahrnehmung den traditionellen Ukiyo-e Drucken entspricht, die in Japan das Lebensgefühl des aufkommenden Bürgertums in den Grossstädten, insbesondere in Tokio, aufgegriffen haben. Tatsächlich ist die kompositorische Verwandtschaft nicht nur augenscheinlich – trotz der über 150 Jahre, die zwischen den Bildern liegen –, sie wird durch die visuellen ‚Fehlstellen’ gar noch verstärkt. Somit ist Nach Hiroshige auch die Gegenüberstellung zweier künstlerischer Medien: der Fotografie und des Druckes. Dabei scheinen die japanischen Drucke als Bildträger jedoch geeigneter zu sein. Während sie die historischen Bilder problemlos in die Gegenwart transportieren, scheitern die digitalen Fotografien an der Übertragung der Bildmotive ins Hier und Jetzt beziehungsweise von der externen Harddisc auf den Computer.
Kunstmuseum Thurgau
Matthias Bildstein (*1978/AUT, lebt und arbeitet in Wien) hat in Wien Bildhauerei, Philippe Glatz (*1979/CH, lebt und arbeitet in Kreuzlingen) in Zürich und in Wien Malerei studiert. Die zwei Künstler haben sich 1997 bei einem Graffiti-Anlass kennengelernt und machen seit 2003 gemeinsam Kunst. In ihren Arbeiten spüren sie den Funktionsmechanismen und den ökonomischen Prinzipien der Kunstwelt nach und legen die Verschränkungen von Kunst mit einer Lifestyle- und Eventkultur offen. In /BAZZ/ Rheticus Kriterium (2014) beispielsweise haben Bildstein I Glatz eine Fahrradbahn in einem Ausstellungsraum gebaut, darauf ein Fahrradrennen veranstaltet und eine Marketingstrategie mit bedruckten T-Shirts oder Mützen für die fiktive Firma /BAZZ/ entworfen. Damit thematisieren sie nicht nur die wachsende Bedeutung von publikumswirksamen Spektakeln oder Museumsshops im Kontext der Kunst, sondern verweisen auch auf die Indienstnahme der Kunst durch die finanzstarken Werbekampagnen von Getränkeherstellern oder Modefirmen. In So weit das Budget reicht (2009) – eine unvollendete hölzerne Brücke über den Bodensee – machen die Künstler mitunter deutlich, dass die finanziellen Mittel in der Kunstwelt nicht derart reichlich vorhanden sind und die Kunstschaffenden trotz Boom der sogenannten Kulturindustrie nicht selten in prekären Situationen leben. Anlässlich der Werkschau zeigen sie die zwei grossen Ölgemälde sign up now und duck dive (beide von 2015), in denen sich kunsthistorische Referenzen an den abstrakten Expressionismus oder an die Malerei der ‚Neuen Wilden’ aus den 1980er Jahren mit popkulturellen Elementen aus der Graffitikultur überlagern. Die zwei Arbeiten sollen übrigens bis auf weiteres in der KVA hängen bleiben. Diese, so die Künstler, „Win-win-Situation“ käme beiden Seiten zugute: Die KVA kann den Maschinenraum mit Kunst schmücken, derweil Bildstein I Glatz das Problem der Lagerung ihrer übergrossen Leinwände zumindest vorübergehend gelöst haben.
Remise Weinfelden zu Gast in der KVA
Fredi Bissegger (*1952/CH, lebt und arbeitet in Frauenfeld und Pfyn TG) ist gelernter Schaufensterdekorateur und hat in den 1970er Jahren als Bühnenbildner unter anderem beim Zürcher Theater am Neumarkt gearbeitet. Später hat er sich an der damaligen Kunstgewerbeschule in Zürich zum Werklehrer ausbilden lassen. Seit 1981 ist er künstlerisch tätig, wobei er die verschiedensten Materialien und Techniken nutzt. Er fertigt mit Bleistift und Wasserfarbe feine, gegenständliche Zeichnungen oder schafft mit Fett-, Kohle- oder Ölkreide grafisch-abstrakte, schwarz-weisse Bildkompositionen. Seit den frühen 1990er Jahren beschäftigt sich Fredi Bissegger zudem intensiv mit der sogenannten Farbfeldmalerei, in der der Bildaufbau durch geometrisch präzis strukturierte, unterschiedlich farbige Rechtecke bestimmt ist. Fredi Bissegger nutzt diese Methode für meist grossformatige Gemälde, in denen er den strengen Raster der unterschiedlich farbigen Flächen auch mal mit ungenauen Linien oder mit der Anordnung von vielen, in ihrer Farbigkeit ähnlichen Feldern aufbricht. An der Werkschau zeigt Fredi Bissegger einerseits seine grossen Farbtafeln, die er in einem Schacht in der KVA inszeniert, und andererseits drei neue Werke, die auf einer digitalen Überarbeitung von fotografischen Scans basieren. Seit einigen Jahren experimentiert er mit digitalen Techniken, um zu neuen Bildfindungen zu gelangen. Als Ausgangspunkt nutzt Fredi Bissegger dabei ganz konkrete Objekte – an der Werkschau beispielsweise ein Schleifpapier in der Körnung P80 – , die er mit dem Scanner auf Farb- und Formenstrukturen hin untersucht. Das Resultat ist eine abstrakte, schwarz-weisse Komposition, in der kaum mehr etwas auf den komplexen Arbeitsprozess hindeutet.
Remise Weinfelden zu Gast in der KVA
Matthias Bosshart (*1950/CH, lebt und arbeitet in Zürich) hat in den 1970er Jahren an der damaligen Basler Kunstgewerbeschule unter anderen beim abstrakten Maler Franz Fedier studiert und sich später in den USA und in Kanada im Bereich des Experimentalfilmes weitergebildet. Die verschiedenen Formen malerischer Abstraktion und das Medium Film sind seit jeher zentrale Bestandteile seiner künstlerischen Praxis: Matthias Bosshart malt und schafft experimentelle Filme, für die er auch gefundenes Filmmaterial verarbeitet. Seit den frühen 1990er Jahren eint er diese beiden Medien in formaler Hinsicht: Auf grossformatigen, meist mit verschiedenen Lackfarben bemalte Platten montiert er 16mm- und 35mm-Filmstreifen aus Zelluloid, die er auf Flohmärkten und in den wenigen noch bestehenden Filmlabors aufspürt. Seine frühen Arbeiten bestanden zumeist aus einer mehrmaligen Schichtung von Farbe und Zelluloidstreifen und waren in ihrem Ausdruck wild und gestisch-abstrakt gemalt. Die an der Werkschau gezeigten Arbeiten von 2013 verweisen auf den zunehmenden Abstraktionsprozess der letzten Jahre. Matthias Bosshart schafft im Zusammenspiel von Farbe und Filmstreifen nun geometrisch-ornamentale Strukturen. Die eigentlichen Geschichten der auf das Zelluloid gebannten Filme lassen sich nur mehr erahnen. Die Bildstruktur ist geprägt von der ganz eigenen Farbigkeit des Materials und den feinen Abstufungen von hell zu dunkel, von transparent zu opak. Die Bildtitel setzt Matthias Bosshart stets erst nach der Fertigstellung der Arbeit. Sie verweisen auf Dinge, die er gerade liest und sieht, oder beschreiben mögliche Ideen, wie die grossen Tafeln gedeutet werden könnten.
Galerie Adrian Bleisch, Arbon
Plastische und zeichnerische Arbeiten dominieren das Schaffen von Martina Böttiger (*1980/CH, lebt und arbeitet in Basel), die an der Kunsthochschule in Basel einen Master in bildender Kunst absolviert hat. In ihren Zeichnungen tauchen immer wieder gegenständliche Spuren von Interieurs und Architekturen auf – ein Dachgebälk, ein Bett, ein Teppich, Stühle oder eine Lampe. Die mit Ölfarbe oder Tusche gefertigten Linien sind mit schnellem Gestus auf das Papier gezogen. Ebenfalls experimentiert die Künstlerin mit abstrakteren Bildfindungen. Sie trägt Tusche, Öl- oder Acrylfarbe in dicken Schichten auf, wobei die Pinselstriche gut sichtbar sind. Für ihre plastischen Arbeiten nutzt Martina Böttiger immer wieder Keramik als Material. Sie fertigt glasierte oder unglasierte Keramikobjekte in unterschiedlichen Farben. Ähnlich den Zeichnungen sind auch bei diesen die Spuren des Entstehungsprozesses sichtbar: Die Glasur läuft über die Kanten hinab, die Fingerabdrücke der Künstlerin sind sichtbar. Motive von Interieurs sind ebenfalls auf verschiedene Weisen präsent. Bei der an der Werkschau gezeigten Arbeit Schlafzimmer (1) hat sie das Mobiliar in die helle Keramikglasur geritzt. Zugleich nutzt sie immer wieder Möbel oder andere Einrichtungsgegenstände, um ihre Objekte zu präsentieren. Ein Wandregalsystem oder – wie in der neuen, in der Werkschau ausgestellten Arbeit Proleten – einen Teppich. Dadurch erinnern die Keramikobjekte von Martina Böttiger auch an kleine Nippes, die sich mit ihren mitunter seltsamen, auch absurden Formen der Idee des Schmuckstückes jedoch verweigern.
Kunstmuseum Thurgau
Hannes Brunner (*1956/CH, lebt und arbeitet in Berlin und Zürich) hat an der Kunsthochschule in Kassel Fotografie und Bildhauerei studiert und an der ETH Zürich ein Architekturstudium absolviert. Seit 2012 ist er Professor für Bildhauerei an der Weissensee Kunsthochschule Berlin. In seiner künstlerischen Praxis verfolgt er einen weiten Skulpturbegriff, der sich immer auch aus Fragen nach dem sozialen Interaktionspotential von Kunst nährt. Aus einfachen Materialien wie Karton, Draht oder Styropor entwickelt er Arbeiten, die sich auf menschliche Zeit- und Raumwahrnehmung beziehen und die Möglichkeiten der Kunst in diesem Kontext beleuchten. So inszeniert er beispielsweise für die Arbeit Die Debatte (2016) eine Diskussionssituation vor dem Bundestag in Berlin. Helferinnen und Helfer bauen eine Bühne auf, platzieren Lautsprecher und Stühle. Die Debatte findet aber nicht statt. Oder hat schon stattgefunden. Box – oder Vermeers Vermächtnis (2015) nennt Hannes Brunner die an der Werkschau präsentierte Arbeit: Eine Schachtel in der Grösse eines mobilen Toilettenhäuschens, zusammengesetzt aus verschiedenen Pappen. Das auf der türähnlichen Seite angebrachte Guckloch und der Werktitel erinnern an den barocken niederländischen Maler Jan Vermeer, der vermutlich mit Hilfe einer Camera Obscura seine berühmte Ansicht von Delft (1660/61) gemalt hat. Er schaute dabei also durch ein Loch in der Box auf die Welt und veränderte mit den Mitteln der Kunst unsere Wahrnehmung von dem Raum, der uns umgibt.
Galerie widmertheodoridis, Eschlikon
Seit 2012 arbeiten Sara Widmer (*1980/CH), Georg Krummenacher (*1983/CH) und Daniel Lütolf (*1980/CH) in Zürich und anderswo unter dem Namen CKÖ als Kollektiv zusammen. In ebenso lustvollen wie ernsthaften künstlerischen Arbeitsprozessen arrangieren sie Objekte des alltäglichen Lebens – wie jüngst beispielsweise zwei Baumaschinen in der Installation YUMIMEI (2015) – zu Skulpturen. Oder sie schaffen aus Unmengen von Dachlatten komplexe, ortsspezifische Gebilde, die als visuelle Kommentare auf den vorgefundenen räumlichen Kontext reagieren. So etwa DORMAY WOUH 3400 (2015), eine Art hölzerne Ausstülpung, die die Räume des Basler Ausstellungsraums Klingental in waghalsiger Form über eine Strasse hinweg in den öffentlichen Raum verlängerte. An der Werkschau Thurgau 16 zeigen sie die aus Holz und LED-Röhren gefertigte, funktionstüchtige Raketenabschussrampe WATASTATA (2015). Dabei soll das Experiment des Wasserstartes tatsächlich vorgeführt werden: Auf dem auf Bojen im Bodensee schwimmenden WATASTATA werden am 26. November nachmittags Feuerwerksraketen gezündet.
Kunsthalle Arbon
Gabi Deutsch (*1973/CH, lebt und arbeitet in Zürich) hat an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) bildende Kunst und Szenografie studiert. Anlässlich der Werkschau zeigt sie in der Kunsthalle Arbon die Rauminstallation Bread embracing a Scaffolding (2014). Der Titel verweist auf die Form: Langgezogene Brote schlingen sich um ein eisernes Gerüst, umarmen fast liebevoll die mit Gebrauchsspuren gezeichneten Metallstangen. Das klingt nicht nur lustig, sondern ist auch so gemeint. Gabi Deutsch kreiert mit ihren Installationen, Skulpturen oder Fotografien humoristische Situationen, die sie mit der Titelwahl oft zusätzlich akzentuiert. Carpet trapped by a Watermelon nennt sie eine Bodeninstallation mit Teppich und einer Wassermelone aus Keramik, Soccer-ball disguised as a Pineapple ist eine kleine Skulptur mit einem alten Fussball und Ananasblättern. Dabei will die Künstlerin aber immer auch eine Art von beklemmender Situation schaffen und das durchaus verkrampfte Ausharren der Objekte in diesen Assemblagen betonen. Nicht zuletzt haftet diesen Arbeiten immer auch ein narratives Moment an. Da stecken Geschichten drin. Geschichten, die davon leben, dass Gabi Deutsch mit den Materialien spielt und zusammenbringt, was eigentlich nicht zusammengehört. Warum, fragen wir uns, warum umarmt das Brot das Baugerüst? Und warum verkleidet sich der Fussball als Ananas? Und schon spinnen wir uns unsere eigenen, oft absurden und auch mal beklemmenden Geschichten weiter.
Kunsthalle Arbon
Lorenza Diaz (*1978/CH, lebt und arbeitet in Basel und Leipzig) ist Landschaftsmalerin. Doch die Künstlerin, die an den Kunsthochschulen in Basel und Leipzig freie Kunst und Malerei studiert hat, bricht mit den tradierten Motiven dieser Gattung. Ihre meist grossformatigen Ölbilder oder ihre Wandmalereien zeigen rätselhafte, düstere Landschaften, mit dystopischer Atmosphäre. Mit Grau-, Braun- oder Schwarztönen und durch wiederholtes Abwaschen, Übermalen und Abschaben der Farbe malt Lorenza Diaz nebelverhangene Landstriche oder Schneefelder, das Skelett eines Schiffes, vielleicht eines Hauses, oder kantige Felsen im Bildvordergrund. Die Dinge und Gegenstände bleiben unscharf, die Gemälde lassen Raum für subjektive Imaginationen. „Die Landschaften sind meiner Fantasie oder Erinnerung entsprungen und existieren real vielleicht nur in Umrissen“, sagt Lorenza Diaz. Dabei sind ihre Arbeiten auch eine Absage an die idealisierte Idylle, die in unserem kulturellen Gedächtnis mit Landschaftsbildern einhergehen. Diese Vorstellungen, so betont die Künstlerin, will sie „entleeren und in ein trügerisches Licht“ rücken. Auch in ihren grossen Wandbildern zeigt sie Landschaften. In der jüngst in einer Moskauer Galerie geschaffenen Wandarbeit ECHO (2016) hat Lorenza Diaz mit Kohlepulver und Pigmenten ein Panorama gefertigt. Sie zeichnet die dunklen Konturen von Felsen, die zugleich auch brechende Wellen sein könnten, sie zeichnet Nebelschwaden und schäumende Gischt. Für die Werkschau appliziert Lorenza Diaz ein neues Wandbild – sie nennt es UMBRUCH – auf die Wände der Shedhalle.
Shed im Eisenwerk, Frauenfeld
„Ich bin, glaub ich, als Zeichner auf die Welt gekommen“ sagt Othmar Eder (*1955/AUT, lebt und arbeitet in Stettfurt TG). Ausgebildet an der Kunstakademie in Wien, ist die Zeichnung auch heute noch sein bevorzugtes künstlerisches Medium, wobei er sie beispielsweise auch mit Videoarbeiten kombiniert. Othmar Eders Arbeiten zeugen insbesondere von einem gleichsam zeichnerischen Denken, das ihn antreibt. Er sucht nach Strukturen, Texturen und nach linearen Zusammenhängen. Dementsprechend beschränkt er sich nicht auf das blosse Zeichnen mit Bleistift, Farbstift oder Kreide. Er überträgt gefundene Fotografien aus seinem Archiv mit Kohlepapier auf Karton, auf speziell grundiertes Papier oder auf Transparentpapier, er zeichnet mit Pigmenten, die er mit Asche angereichert hat, oder mit Eitempera, er schneidet Linien aus fügt und sie an anderen Stellen wieder ein. Die an der Werkschau gezeigte Arbeit Jardim do Ultramar – Lisboa, 2015 (2015) ist eine mehrteilige Zeichnungsserie, die zwischen zwei längeren Aufenthalten in Lissabon entstanden ist. Die unterschiedlich grossen Zeichnungen bilden einen fragmentierten Blick auf den botanischen Garten des ehemaligen Königspalastes Palácio Nacional da Ajuda in Lissabon mit seinem reichen Fundus an tropischen und subtropischen Pflanzen. Wir sehen Äste und Blätter, die über schmalformatige Papiere wuchern und sich in der Unschärfe verlieren, wir blicken hinauf zum gläsernen Dach des Pflanzenhauses, wo sich die stählernen Verstrebungen als Linien dunkel abzeichnen.
Shed im Eisenwerk, Frauenfeld
Jon Etter (*1972/CH, lebt und arbeitet in Zürich) ist oft unterwegs. Ausgedehnte Recherchereisen führen in zu stillgelegten Industriebauten, zu Hochhäusern mit bröckelnder Fassade irgendwo in einer städtischen Peripherie oder zu verlassenen Stränden abseits der touristischen Zentren. Dabei interessiert er sich insbesondere für Orte, die sich in einem Prozess der Veränderung befinden, die verlassen, aber noch nicht vollends verwahrlost sind. Sie stellen eine Art von ‚Terrain Vague’ dar, sind in ihrer Funktion noch (oder wieder) unbestimmt, bilden ambivalente Zwischenräume. Diese Orte hält Jon Etter in grossformatigen Fotografien fest. Mediterranean Sky nennt er die Fotoserie, an der er seit 2015 arbeitet und die er an der Werkschau im Kunstmuseum Thurgau zeigt. Der mediterrane Himmel ist dabei meist wolkenverhangen. Er wölbt sich über ein umgekippt im Wasser liegendes Schiffswrack, über einen, auf dem roten Fels thronenden Betonbunker, über eine staubige, von Abfall gesäumte Schotterpiste oder über ein wucherndes Netz von Sende- und Empfangsantennen, das sich oberhalb einer einer Container- und Barackensiedlung spannt. Entstanden sind die Bilder in Griechenland. Also an jener Peripherie, an der sich das Europa des 21. Jahrhunderts nicht nur der Wirtschaftskrise, sondern auch den vor dem Krieg und der Perspektivlosigkeit flüchtenden Menschen stellen muss. Mit seinen Fotografien will Jon Etter allerdings nicht die Geschichte eines bestimmten Ortes erzählen, vielmehr erzählt er mit dem Ort eine Geschichte, wie sie sich irgendwo zutragen könnte. Mediterranean Sky erzählt in diesem Sinne die Geschichte von Grenzen, von Abschottung, vom Aufbruch und von Hoffnungen, die wie stählerne Antennen in den Himmel ragen. Und das ist wohl jene Geschichte, die Europa und die Welt künftig beschäftigen wird.
Kunstmuseum Thurgau
Körper und Körperlichkeit sind wiederkehrende Themen in Renate Flurys (*1953/CH, lebt und arbeitet in Weinfelden) Arbeiten. Ausgebildet als Steinbildhauerin war der Stein lange Zeit ihr bevorzugtes Ausdrucksmittel. In körperlich anstrengender Arbeit bearbeitete sie Steine und formte Füsse, Zungen oder Kniescheiben aus dem harten Material. Bedingt durch die vor über fünfzehn Jahren diagnostizierte Multiple Sklerose rückten für Renate Flury die Möglichkeiten des eigenen Körpers in den Fokus. Die Auswahl der Materialien ist nun an die vorhandene Körperkraft gekoppelt. Anstatt Stein nutzt die Künstlerin nun Wachs, Schaumstoff oder Gips, sie malt und fotografiert. An der Werkschau zeigt sie fragile Gipsobjekte, die in ihrem Innern hohl sind. Hierfür hat Renate Flury Lehmklumpen geformt, diese mit einer Schicht aus Gips überzogen und anschliessend den Lehm aus der hartgewordenen Gipsform herausgeklaubt. Dabei ist die Gipsform gleichsam das Negativ, das in den bildhauerischen Arbeitsprozessen normalerweise unsichtbar bleibt. Nun trägt der Gipskörper die Spuren der knetenden Finger der Künstlerin auf sich und umhüllt einen leeren Kern. „Ich schaffe Leere“, sagt Renate Flury dazu, „indem ich einen handgeformten Klumpen Lehm aus einem ihn umhüllenden löchrigen Gipsmantel herausklaube und so der Leere Raum gebe.“
Kunstraum Kreuzlingen
Michael Frei (*1987/CH, lebt und arbeitet in Amriswil TG und Zürich) hat an der Hochschule Luzern (HSLU) und an der Kunstakademie in Tallinn (Estland) visuelle Kommunikation und Animation studiert. Seither realisiert er zumeist in Schwarz-Weiss gehaltene interaktive Kurz- und Animationsfilme mit einer einfachen, zeichnerischen Ästhetik. Den an der Werkschau im Kunstraum Kreuzlingen gezeigten interaktiven Film Plug & Play hat Michael Frei gemeinsam mit dem Gamedesigner Mario von Rickenbach entwickelt. Die Arbeit basiert auf dem gleichnamigen Animationsfilm von 2013. Dabei zeichnet Michael Frei jedes Einzelbild direkt am Computer: mit seinem rechten Zeigefinger auf dem Touchpad seines Laptops. In Plug & Play bewegen sich langgezogene menschliche Finger vorsichtig aufeinander zu oder tippen auf Lichtschalter. Mal ist der Raum dunkel, mal hell. Derweil rennen Figuren mit Steckdosen- und Steckerköpfen hastig durch das Bild, stossen an unsichtbare Wände und stecken schliesslich Kopf an Kopf ineinander. „I don’t think I love you“, sagt die Steckdosenfrau zum Steckermann, worauf dieser fragend erwidert: „Are you sure?“. Die Spielerin oder der Spieler haben die Möglichkeit, in dieses Spiel der Emotionen und der Sexualität zu intervenieren: Durch sanfte Berührung des Tabletbildschirmes können sie die Schaltkreise selbst bedienen und so auch mitspielen. Diese Spielerfahrung wird in den ebenfalls gezeigten Videos Let’s Plug & Play aufgegriffen, das Spielerinnen und Spieler beim Spielen und Kommentieren von Plug & Play zeigt.
Kunstraum Kreuzlingen
Johannes Gees (*1960/CH, lebt und arbeitet in Zürich) gelangte über Umwege zur Kunst. Er studierte Ethnologie und Geschichte an der Universität Zürich und gründete im Umfeld der Zürcher Postpunk-Szene der 1980er Jahre mehrere Bands. Gleichzeitig begann er zu malen und arbeitete als Bildredaktor, Grafiker und Art Director. In den 1990er Jahren entdeckte er das Internet als Spielwiese und widmete sich fortan hauptberuflich der Kunst. Das kollaborative und partizipative Element, das seine Arbeiten mit den Menschen ausserhalb der Kunstwelt verbindet, bestimmte viele seiner früheren Arbeiten. In hellomrpresident (2001) projizierte er mit einem Laser Kurzmitteilungen von Menschen aus der ganzen Welt auf einen Berghang oberhalb von Davos. Adressatinnen und Adressaten der Botschaften waren die Teilnehmer des World Economic Forums (WEF). In der Serie Interfacing Landscapes (2005/06) spürte Johannes Gees der Bedeutung von Heimat und Landschaft nach und liess dazu ein von einer Kreuzlinger Rüstungsfirma produziertes Panzerfahrzeug zu Klängen des Thurgauerliedes mit einem Laserstrahl Sätze wie „Oh Thurgau, du Phantomschmerz“ in die Nacht hinaus schiessen. Mit seiner Werkschau-Teilnahme kehrt Johannes Gees in gewisser Weise zurück zur Kunst, war er doch in den letzten Jahren vorwiegend mit dem Aufbau der Crowdfunding-Plattform wemakeit beschäftigt, die er 2012 gegründet hatte. So sind die gezeigten Arbeiten für Johannes Gees eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und der Gegenwart seines künstlerischen Schaffens. Die Acrylbilder, die er bereits in den frühen 1980er Jahren schuf, hat er noch nie öffentlich gezeigt; die neuen Arbeiten sind in diesem Sommer während einer dreimonatigen Residency in Los Angeles entstanden.
Kunstraum Kreuzlingen
Urs Graf (1942–2016) hat in seinem Atelier hoch über Ermatingen mit Blick auf den Bodensee gemalt und gezeichnet. Und er hat aus seinem riesigen Fundus an selbst gefertigten und gefundenen Bildern, Zeichnungen, Fotografien und vielen anderen Fundstücken wie Notizzetteln, Tickets oder Geldnoten Collagen geschaffen. „Collage als Prinzip, nicht einfach als Klebebild“, hat er dazu gesagt. So tauchen denn auch in seinen Malereien oder Zeichnungen immer wieder Überlagerungen und Schichten von verschiedenen Materialien auf, – herausgerissene Zeitungsschnipsel oder Kartonstücke – die er mit schnellen dicken Pinselstrichen oder mit Klebestreifen ins Bild integrierte. Im Bilderkosmos von Urs Graf bedeutete das auch, dass seine Werke kaum je fertig waren. „Diese Arbeit bleibt immer noch unvollendet“ schrieb er im Januar 2015 zu einer grossformatigen Collage, deren Veränderungsprozess er auf seiner Homepage festhielt. Und an einer anderen Stelle hält er fest: „Oft bleiben fragile Entwürfe lange liegen, verschwinden unter neuen Arbeiten, werden vielleicht nie fixiert. Vielleicht auch nach langer Zeit, manchmal sind es Jahre, wieder entdeckt“. Das Konzept der Collage war für Urs Graf zudem mehr als ein blosses Arbeitsprinzip, sondern eine eigentliche Strategie der Wahrnehmung und Verarbeitung der Welt, die ihn umgab. Mit seinen Collagen, so der Künstler wolle er „etwas von der Dichte täglicher Ereignisse und seiner Erlebnisse festhalten“. So finden sich unter seinen künstlerischen Arbeiten auch zahlreiche Studienbücher, die auf Reisen nach Paris, New York oder Indien entstanden sind und die jeweiligen Eindrücke festhalten. An der Werkschau ist er mit einer grossen collagierten Papierarbeit vertreten. „Kunst am Meter“ hat er sie mit einem schelmischen Lächeln bei einem Atelierbesuch im Sommer genannt.
Remise Weinfelden zu Gast in der KVA
I wanna be nennt die Künstlerin Co Gründler (*1967/CH, lebt und arbeitet in Zürich) ihre eigens für die Werkschau konzipierte Arbeit. Eine aus Lametta, Ästen und Stoff geschaffene Skulptur dreht sich über einem verspiegelten Podest. Aus dem Lautsprecher singt eine Stimme: „I wanna be, I wanna be... What, what...?“ Dazu sagt Co Gründler: „Die Skulptur bildet sich ein, ein Vogel zu sein.“ Solch undefinierbare und imaginierte Traumwesen faszinieren Co Gründler. Aus farbigen Kunstharzen, Polyurethan, Silberklebeband oder eingefärbtem Stoff kreiert sie Skulpturen, die sie Wolkenbaum, Dragonfly oder Brotfussdame nennt und oft auf Spiegelflächen präsentiert. Die Fragen nach Sein und Schein, nach der nicht nur eitlen, sondern auch identitätskonstruierenden Suche nach Selbstbestätigung im Spiegel schwingen dabei mit. Geblendet von seiner Imagination, dreht sich der ‚Möchtegern-Paradiesvogel’ weiter im Kreis, bleibt ebenso ratlos wie melancholisch gefangen in dieser endlosen Bewegung und im Wunsch nach einem undefinierten Anderssein.
Shed im Eisenwerk, Frauenfeld
Andy Guhl (*1952/CH, lebt und arbeitet in St. Gallen) experimentiert seit den 1970er Jahren mit Klängen, selbstgebauten Instrumenten und Eigenbau-Elektronik. In langjähriger Zusammenarbeit in den Duos Möslang-Guhl und Voice Crack entwickelt Guhl die Idee der sogenannten „erweiterten geknackten Alltagselektronik“: Durch manipulative Eingriffe entlocken die zwei Musiker alltäglichen elektronischen Geräten Klänge und Geräusche. Ab 2001 entwickelt Andy Guhl THE INSTRUMENT, ein unter anderem aus Mikrokameras, Beamern und ‚geknackten’ elektronischen Geräten bestehendes Musikinstrument, das der Künstler für audiovisuelle Liveperformances nutzt, in denen sich das Hören und das Sehen verknüpfen. „You see what you hear“ sagt Andy Guhl dazu. Anlässlich der Werkschau zeigt er das für eine Ausstellung bei Edizioni Periferia in Luzern entwickelte installative Werk Obsidian: The Silizium of the Stone Age (2016), das ebenfalls auf dem Prinzip der Manipulation elektronischer Geräte basiert. Ein sich drehendes Stück Obsidian – ein vulkanisches Gesteinsglas – wird von einer Kamera gefilmt. Die gefilmten Spiegelungen und Lichtreflexe werden von einem manipulierten Gerät derart übersetzt, dass die daraus entstehenden Wandprojektionen wie die Abbildungen flüssiger Lava erscheinen. Andy Guhl verbindet mit dieser Arbeit die Steinzeit und die Gegenwart: Unsere Vorfahren stellten aus dem scharfkantigen Obsidian Werkzeuge wie Messer oder Faustkeile her. Der Lavastein war in diesem Sinne für die Entwicklung der Menschheit gleichbedeutend wie das chemische Element Silizium, das heute als wesentlicher elektronischer Baustoff von Mikrochips in alltäglichen Geräten verwendet wird.
Kunstmuseum Thurgau
Dieter Hall (*1955/CH, lebt und arbeitet in Zürich) begann in den frühen 1980er Jahren während seines Studiums der Kunstgeschichte – das er 1983 mit dem Lizentiat abgeschloss – zu malen. Er malt in figurativer Weise Landschaften, Interieurs, Stillleben oder Porträts – letztere meist von Freunden. Er ist insbesondere fasziniert von den einfachen, ja unspektakulären Dingen des Alltages, die er auf seinen Streifzügen und Spaziergängen entdeckt, mit Fotokamera oder im Skizzenheft festhält und später in seinem Atelier mit kräftigen Pinselstrichen und oft dickflüssiger Ölfarbe in einer bewusst reduzierten Formensprache auf die Leinwand überträgt. Er malt spriessende Pflanzen auf einem Balkon, das Abendrot über dem Bodensee, einen von blauen Blumen überwachsenen Hydranten, ein hölzernes Tischchen mit einem Kabeltelefon oder ein Badezimmer mit einer freistehenden, roten Wanne, auf deren Kante ein gelbes Handtuch liegt. Diese alltäglichen Szenerien und Stillleben sind meist menschenleer. Lediglich eine über die Stuhllehne gehängte Lederjacke oder die neben einem Blumentopf platzierten Hausschuhe erinnern an die Bewohnerinnen und Bewohner dieser Räume. Als eigentliche Protagonisten insbesondere der Interieurs setzt Dieter Hall immer wieder Stühle oder andere Sitzgelegenheiten ins Bild – wie der gepolsterte Lehnstuhl oder die zwei Hocker in zwei der fünf Gemälde, die er an der Werkschau zeigt. Die Objekte sind alleine ins Bild gesetzt, womit ihnen fast eine Aura der Überhöhung anhaftet – trotz oder gerade wegen ihrer Alltäglichkeit.
Galerie Adrian Bleisch, Arbon
Daniel Hausig (*1959/CH, lebt und arbeitet in Saarbrücken und Hamburg DE) ist Experte für Lichtphänomene. Ausgebildet an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg, hat er seit 1999 die Professur für Licht und Intermedia an der Hochschule der Bildenden Künste Saar (D) inne. Sein künstlerisches Material sind das Licht und Lichtquellen verschiedenster Art. Hierfür nutzt er beispielsweise den physikalischen Vorgang der Lumineszenz, bei der überschüssige Energie in Form von Licht abgegeben wird, und fertigt damit Elektrolumineszenz-Siebdrucke, die er zu Skulpturen arrangiert. Er schafft mit phosphorbeschichteten Glasflächen grosse Installationen oder nutzt LED-Leuchtmittel, um digital gesteuerte Lichtinterventionen als Kunst am Bau-Projekte umzusetzen. Dabei interessiert ihn die Lichtquelle immer in ihrer Relation zum räumlichen, auch architektonischen Kontext. Ja, er behauptet gar: „Für mich ist Licht zu allererst ein raumbildendes Medium.“ An der Werkschau ist es ein LED-Lichtschlauch, der diesen Raum kreiert. In der ortsspezifischen Arbeit Seitenlicht-Versuchsanordnung (2016) schlingt sich der Lichtschlauch durch die ehemalige, heute als Ausstellungsraum genutzte Scheune bei widmertheodoridis in Eschlikon. In den fotografischen Arbeiten taucht der Lichtschlauch als stilistisches Mittel der Bildkomposition und als tatsächliche Leuchtquelle erneut auf. Die hinterleuchteten Fotografien zeigen zumeist menschenleere Räume und Orte: Hotelzimmer, verlassene Swimmingpools oder vorstädtische Siedlungen, in denen der mäandrierende Lichtschlauch eine eigenartig warme, mitunter auch melancholische Stimmung kreiert.
Galerie widmertheodoridis, Eschlikon
Susanne Hefti (*1984/CH, lebt und arbeitet in Zürich) ist eine genaue Beobachterin. Nach einem Fotografiestudium an der Folkwang Universität der Künste in Essen, absolviert sie gegenwärtig einen Master in ‚Fine Arts’ an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). In ihren Fotografien, Texten, installativen Arbeiten oder Performances spürt sie den vermeintlich gewöhnlichen, manchmal verborgenen, aber oftmals entscheidenden Dingen, Details oder Phänomenen nach, die unsere Gesellschaft prägen. Sie schaut genau hin und entwickelt ihre künstlerischen Arbeiten nach umfangreichen Recherchen. So beschäftigt sie sich beispielsweise in Unsound Trajectories (2015) mit den städtebaulichen Veränderungen in der mazedonischen Hauptstadt Skopje, die Zeugen von spezifischen politischen Ideologien sind. Für die Fotoarbeit Einkaufsstadt (EKS Neon Cages) (2014) inszeniert sie Einkaufszentren, Schaufensterauslagen oder Shoppingmall-Parkplätze als Insignien eines, wie sie sagt, „Spektakels des Konsums“. Die an der Werkschau präsentierte Installation nennt Susanne Hefti Poser – Eine Trilogie (2016). Auf der gemeinsam mit dem deutschen Künstler Maximilian Schneider (*1991/DE, lebt und arbeitet in Essen) gefertigten Installation aus Stahlkäfigen sitzend, lauschen wir einer Erzählung. Die Arbeit reflektiert die Anforderungen der Kunstwelt an die Kunstschaffenden, die im digitalen Zeitalter mit der idealen Selbstvermarktung und der Adaption an einen entsprechenden Lifestyle beschäftigt sind. Ähnlich wie Athleten/innen müssen sie fit und stark sein, Unsicherheiten überwinden, um im kompetitiven (Kunst-)System erfolgreich zu bestehen.
Shed im Eisenwerk, Frauenfeld
Künstlerische Arbeitsweisen sind für Ray Hegelbach (*1983/CH, lebt und arbeitet in Oslo und Zürich) auch eigentlicher Untersuchungsgegenstand. Der Künstler, der an der Hochschule Luzern und an der National Academy of Arts in Oslo studiert hat, befragt in seinen Arbeiten beispielsweise die Funktionsweisen der Malerei, die malerischen Arbeitsprozesse oder die Art und Weise von Bildfindungen. Dabei nehmen Motive und Methoden, die er bei Beobachtungen im routinierten Tagesgeschehen sammelt, eine wichtige Funktion ein. In Projekten wie Welcome Back (2014-16) interessiert er sich für die Gegensätze von handwerklicher Arbeit und Massenproduktion. Unter Anwendung der sich selbst auferlegten Regel der stetigen Wiederholung von Gesten malt er mit schnellen Pinselstrichen die immer gleichen Motive, die er auf vermeintlich handgefertigten Souvenirartikeln gefunden hat. Die an der Werkschau präsentierte Arbeit Margreth (2016) hat Ray Hegelbach bei einem Aufenthalt in Salzburg entwickelt. Auf der Suche nach einem ‚Bild’ der Stadt hat der Künstler touristische Logos der Stadt, Firmenzeichen von (österreichischen) Produkten, politische Kampagnenbilder oder Headlines aus den lokalen Zeitungen fotografiert und diese Bilder auf Stoffresten gedruckt, die er von einer Trachtenschneiderin namens Margreth erhalten hat. Durch die Wiederholung der verschiedenen Motive entsteht ein fast ornamentales Muster, das – im Gegensatz zu den tradierten Verzierungen von Trachten – in einem konkreten Bezug zur politischen und kulturellen Gegenwart steht. An der Werkschau zeigt Ray Hegelbach die teilweise ausgebreiteten, teilweise zusammengefalteten Stoffe auf einem Tisch und erinnert damit sowohl an deren Herstellung als auch an eine kommerzielle Präsentation.
Galerie Adrian Bleisch, Arbon
Markus Huber (*1953/CH, lebt und arbeitet in Häuslenen und Frauenfeld TG) ist ausgebildeter Psychiater und führt seit 29 Jahren eine eigene Praxis. Daneben arbeitet er seit seinem Medizinstudium immer auch künstlerisch. Er malt Ölbilder und experimentiert seit einiger Zeit wieder mit der Drucktechnik der Monotypie. Auch hierfür nutzt er Ölfarbe und druckt nicht wie üblich von Glas auf Papier, sondern von Papier auf Papier. Dabei will er insbesondere die durch die Pinselstriche entstandenen Strukturen sichtbar machen. An der Werkschau Thurgau 16 zeigt er grosse Monotypien im Querformat, die aus jeweils zwei Blättern zusammengesetzt sind. Die Formen erinnern an Bergkämme oder an Wellen, entziehen sich aber einer konkreten Zuschreibung und sind überaus reduziert. Reduziert ist auch die Farbigkeit. Markus Huber verwendet lediglich das aus gemahlenen und gebrannten Mineralpigmenten gewonnene Umbra, das er teilweise mit nachschwärzendem Violett ergänzt. Mit dem Festhalten an der Reduktion rückt er die eigentliche Bildentstehung in den Fokus. Wir sehen die Pinselstriche, die Struktur des Farbauftrages und die Spuren, die der Druckprozess auf dem weissen Papier hinterlassen hat.
Remise Weinfelden zu Gast in der KVA
Die Zwillingsbrüder Reto und Markus Huber (*1975/CH, leben und arbeiten in Zürich) machen seit 2005 unter dem Namen huber.huber Kunst. Während sie zu Beginn ihrer Zusammenarbeit vor allem kleinformatige Collagen und Tuschzeichnungen schufen, konzipieren sie in ihrer aktuellen künstlerischen Praxis auch Installationen und Skulpturen, nutzen Fotografie oder Video. Sie verfolgen oft das Prinzip des Samplings, also des Sammelns, Herauslösens und Neumontierens von verschiedensten, oft in antiquarischen Büchern, Zeitschriften oder im Internet gefundenen Bildern. Im Fokus ihres Interesses stehen zumeist kulturhistorische, religiöse oder mythologische Themen. An der Werkschau zeigen sie die erstmals am Zürcher Bahnhof Stadelhofen installierte Arbeit Tafeln voller Hoffnungen (2015/16). Sieben tiefschwarze, spiegelnde Plakate sind auf metallene Ständer montiert. Dabei ist ‚Schwarz’ die Bezeichnung für jene Farb- oder Helligkeitsstufe, die beim Fehlen visueller Reize entsteht. Die Plakate sind mit einem speziellen Lack beschichtet, der auf Temperaturveränderungen reagiert. Durch Berührungen beginnen sie in den verschiedensten Farben zu schimmern und erinnern an jene religiösen oder rituellen Objekte, deren Berührung Glück bringen soll. Allerdings funktioniert der Lack zwischenzeitlich nicht mehr. Wir sehen bloss noch die Spuren und Fingerabrücke jener Menschen, die kurz innegehalten und die schwarze Oberfläche berührt und gehofft haben, dass sie das Glück finden mögen.
Shed im Eisenwerk, Frauenfeld
Immer wieder taucht Sarah Hugentobler (*1981/CH, lebt und arbeitet in Bern) in ihren Videos oder Fotografien selbst auf. In Astronauten (2015) – die Videoarbeit hat mit einer Dauer von 20 Minuten Kurzfilmlänge – agiert die Künstlerin in dreifacher Ausführung als Protagonistin. Drei Astronauten bewegen sich in einem Raumschiff und erzählen mit einer synthetisch anmutenden, männlichen Stimme von den psychischen Bedingungen des Lebens im All. In der Fotoserie Familienalbum (2007) ergänzt die Künstlerin alte Fotografien ihrer Familie mit inszenierten Bildern, auf denen sie sich, kostümiert als alte Frau oder keines Mädchen, in ihre eigene Ahnengalerie einordnet. Derartige Rollenspiele bilden auch einen inhaltlichen Fokus der Arbeiten, die immer wieder um die Frage nach der performativen Inszenierung von Identitäten kreisen. In dem an der Werkschau gezeigten neuen Video Marthe und Mathilde – Versuch einer Annäherung (2016) spürt die Künstlerin erneut ihrer Familiengeschichte nach und agiert gemeinsam mit ihrer Schwester selbst vor der Kamera. Sarah und Lea Hugentobler nähern sich ihren Grosstanten Marthe und Mathilde an, die in einfachen Verhältnissen im Thurgau auf dem Bauernhof ihres Bruders lebten. Die Schwestern versuchen die beiden Charaktere und ihr Verhältnis zueinander nachzuspielen, werden dabei aber immer wieder von ihrer eigenen Geschwisterbeziehung eingeholt. Die Videoarbeit reflektiert nicht nur die durch Familienstrukturen festgeschriebenen Identitäten, sondern fragt auch nach den Rollenbildern, die den Frauen bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts in einem ländlichen Umfeld in der Schweiz zustanden.
Galerie widmertheodoridis, Eschlikon
Roland Iselin (*1958/CH, lebt und arbeitet in Zürich) hat an der Zürcher Hochschule der Künste die Fachklasse für Fotografie besucht und einen Master in Bildender Kunst an der School of Visual Arts in New York erlangt. Seit den frühen 1990er Jahren fotografiert er ausschliesslich. Er fertigt sowohl dokumentarische als auch inszenierte Fotografien, wohlwissend, dass auch einem vermeintlich dokumentarischen Bild immer ein Moment der Inszenierung anhaftet. Sei es in der Pose, die der porträtierte Mensch einnimmt, sei es im Blickwinkel des Fotografen, den er mit seiner Kamera wählt. Neben eindeutig inszenierten Arbeiten, in denen Roland Iselin mit zwei oder mehr Fotografien eigentliche Geschichten erzählt, gehen seinen dokumentarischen Bildern ausgedehnte Recherchen über die Eigenheiten von sozialen Gruppen und Gesellschaften voraus. In den oft als Serien konzipierten Werken spürt er beispielsweise dem nächtlichen Leben in Zürcher Technoclubs, Ballsälen oder Vereinslokalen nach (If you close the door, the night could last forever, 1993-97), porträtiert Mitglieder von Schweizer Vereinen (Members, 2002–03) oder dokumentiert die tristen Interieurs von Sex-Kinos (Sex Kinos, 2012). An der Werkschau zeigt Roland Iselin Arbeiten aus der Serie Unguided Road Trip CH/USA, an der er seit 2010 arbeitet. Die fotografierten Postautohaltestellen, öffentlichen Toiletten, Jägerhochsitze oder Werbetafeln nennt er „Möblierungen“. Sie sind für ihn Ausdruck einer Kultur, einer spezifischen Identität des jeweiligen Landes und geben einen Einblick in die Beschaffenheit der Gesellschaft und deren Werte und Ideale.
Kunstmuseum Thurgau
Vor ihrer künstlerischen Ausbildung hat Karen Kägi (*1966/CH, lebt und arbeitet in Kreuzlingen) an der Universität Zürich Biologie studiert. Der naturwissenschaftliche Blick auf die Welt und die Faszination für die Funktionsweisen des Lebendigen prägen sie auch als Künstlerin. In grossformatigen, realistischen Ölgemälden fertigt sie Pflanzen- und Naturdarstellungen und setzt sich durch das Malen von Salatköpfen, Dill oder Grashalmen auf künstlerische Weise mit deren Komplexität auseinander. Die an der Werkschau gezeigten Fliessbilder (2014–16) gründen unmittelbar auf naturwissenschaftlichen Gesetzmässigkeiten: Karen Kägi nutzt die Papierchromatographie – ein physikalisches Verfahren der Auftrennung von Stoffgemischen – und die physikalischen und chemischen Eigenschaften von Farbe, Papier und Lösungsmitteln. Sie betropft mit Filzstift und Tintenstrahldrucker bearbeitetes Fliesspapier mit Wasser und Salzlösungen. Durch die Kapillarkräfte des Papiers werden die gelösten Farbstoffe konzentrisch nach aussen transportiert und wieder abgelagert. Die so entstehenden Bilder erinnern mit ihren organischen Formen und Farbverläufen an natürlich gewachsene Strukturen wie Kleinstlebewesen, Blüten, Meerestiere oder Zellstrukturen. Sie scheinen auf den ersten Blick ähnlich, sind bei der genaueren Betrachtung aber sehr unterschiedlich. Diese Bildfindungen basieren nicht nur auf den Interaktionen der beteiligten Stoffe, sondern entstehen auch geplant im Rahmen experimenteller Anordnungen. Diese für die Naturwissenschaften zentrale Arbeitsweise macht Karen Kägi für den künstlerischen Prozess fruchtbar und schafft Bilder, die zwischen Kausalität, Zufall und Kontrolle oszillieren.
Kunstmuseum Thurgau
Jan Kaeser (*1966/CH, lebt und arbeitet in St. Gallen) interessiert sich für Räume, für Architektur und Landschaften und für die diesen Orten eingeschriebenen Eigenschaften. Dementsprechend sind seine Arbeiten meist ortsspezifische Kommentare auf den vorgefundenen Kontext. Sie sind mal fein und ephemer – wenn er beispielsweise ein ausgegrabenes Stück Alpgras mit einem Haarföhn frisiert und wieder einsetzt – , mal wuchtig und auffällig, wie das windschiefe Hausobjekt (2015), das er im vorarlbergischen Feldkirch vor dem Ausbildungszentrum des Feuerwehrverbandes platziert hat. Die für die Werkschau konzipierte Arbeit fällt in erstgenannte Kategorie, ja sie spielt förmlich mit der Vergänglichkeit. Karotten wachsen aus einer Wand der Kunsthalle Arbon. Geometrisch übers Eck angeordnet stehen sie im rechten Winkel zur Wand und bilden so ein streng komponiertes Ornament. Doch während die Karotten am Tag der Ausstellungseröffnung noch frisch, knackig, orangeleuchtend und stramm sind, beginnen sie sich nach einigen Tagen durch den Einfluss von Temperatur und Luftfeuchtigkeit zu verformen und zu verfärben. Die Eigenschaften des Ausstellungsraumes, in dem gemeinhin abgeschlossene Arbeiten entrückt von jeglicher Zeitlichkeit zu sehen sind, werden dadurch aufgebrochen und unterlaufen.
Kunsthalle Arbon
Peter Kamm (*1958/CH, lebt und arbeitet in St. Gallen und in Arbon TG) ist ausgebildeter Steinmetz. Die Bearbeitung und die Auseinandersetzung mit Stein sind in seinem Schaffen als Bildhauer zentral. Trotz des in den Steinarbeiten eingeschriebenen zeitlichen Anachronismus. Im Kunstbulletin sagt er dazu einmal: „Mit Steinskulpturen tust du ja heute niemandem einen Gefallen, holst niemanden hinter dem Ofen hervor.“ Für Peter Kamm zeigt sich jedoch gerade im Material, in dessen Widerständigkeit, ein unmittelbarer Gegenwartsbezug. So haftet dem Beharren auf dem Stein ein Akt des Widerstandes an, auch gegenüber den Tendenzen in der Kunstwelt, in der andere künstlerische Materialien aktueller scheinen. Für die Werkschau Thurgau 16 präsentiert er im Kunstmuseum Thurgau drei Steinskulpturen auf einer Art Bank. Die neuen Arbeiten ergänzen dabei seine Steinskulptur Durchlaufen, rotes Wasser (1990/91), die sich bereits in der Sammlung des Hauses befindet. Wie Fundstücke wirken sie dabei: Während die Arbeit aus den frühen 1990er Jahren an eine Versteinerung aus der Urzeit erinnert, könnten die neuen Skulpturen Fundstücke aus der jüngeren Vergangenheit sein. Zurückgelassene Baumaterialien oder industriell gefertigte Maschinenbestandteile. Doch Peter Kamm entzieht sich einer derartigen Zeitlichkeit. Er fertig alle seine Skulpturen aus Sandstein. Dem Regen ausgesetzt, wären sie in hundert Jahren verschwunden.
Kunstmuseum Thurgau
Seit über 30 Jahren fotografiert Simone Kappeler (*1952/CH, lebt und arbeitet in Frauenfeld) mit zumeist analogen Fotokameras Menschen und Dinge, Landschaften und Städte, die sie umgeben. In den 1970er Jahren hat sie an der Universität Zürich Germanistik und Kunstgeschichte studiert und die Fachklasse für Fotografie an der damaligen Zürcher Schule für Gestaltung absolviert. 1981 bekommt sie auf einer Amerikareise eine ‚Diana’ geschenkt – eine preisgünstige Kamera aus Plastik. Deren einfache Handhabung und die Entdeckung der speziellen Ästhetik der Diana-Fotografien – unscharfe Abbildungen mit einer Abschattung zum Bildrand hin – wirken für Simone Kappeler befreiend. In der Folge fotografiert sie immer wieder mit der "Diana" wie auch mit anderen Mittelformatkameras. Ihre Motive findet sie auf Reisen und zuhause, in der intimen Umgebung ihrer Familie. Dabei sieht Simone Kappeler die Fotografie nicht als Mittel, um die Existenz eines Augenblickes zu beweisen. Vielmehr geht es ihr darum, mit der Kamera jene Momente zu fixieren, ja aufzubewahren, die sie in ihrem Inneren bewegen. An der Werkschau zeigt sie neue fotografische Arbeiten, die während eines dreimonatigen Atelier-Aufenthaltes in New York City entstanden sind. Die schwarz-weissen Polaroid-Bilder sind visuelle Dokumentationen von Simone Kappelers nächtlichen Streifzügen durch die Metropole und zeigen bekannte und unbekannte Ansichten der Stadt. Wir sehen die beleuchtete Brooklyn-Bridge bei Nacht, zwei junge Männer mit glänzenden Lederjacken auf der Orchard-Street oder einen auf dem Boden schlafenden Mann in einer Subway-Station. Dabei schauen wir gleichsam mit Simone Kappeler durch die Linse ihrer Kamera und werden so zu stillen BegleiterInnen ihrer Spaziergänge.
Kunstmuseum Thurgau
Daniel V. Keller (*1987/CH, lebt und arbeitet in Zürich) hat an der Schule für Gestaltung in Bern die Fachklasse für Keramik-Design besucht und an der Gerrit Rietveld-Akademie in Amsterdam Bildende Kunst studiert. Er interessiert sich für Räume und mitunter zeichenhafte Objekte, die sie konditionieren. Ausgangspunkt für seine künstlerischen Recherchen sind ausgedehnte Spaziergänge und Beobachtungen im öffentlichen (städtischen) Raum. Die Form eines Mülleimers, eines Zaunes oder eine als Baum getarnte Mobilfunkantenne faszinieren ihn. Dabei interessiert sich Daniel V. Keller insbesondere für den strukturierend-ordnenden Charakter solcher Objekte. Unsere Bewegungen werden durch Zäune, Durchgänge oder Schranken geleitet. Zugleich wird durch die Gestaltung des öffentlichen Raumes unsere Wahrnehmung beeinflusst. Verwendete Materialien, die Beschaffenheit der Oberflächen oder die ästhetische Einbindung von natürlichen Elementen wie Bäume oder Sträucher bestimmen die Art und Weise, wie wir einen Raum wahrnehmen. An der Werkschau zeigt Daniel V. Keller die Skulpturen Foreign Scale (2014) und Massive Spirit (2015). Gefertigt in seinem Zürcher Atelier – der Künstler produziert seine Arbeiten selbst und experimentiert mit Gips, Hartschaum oder der traditionellen Technik des Stuckmarmors – erscheinen sie uns als rätselhafte Objekte. Sehen wir eine umgekippte, modernistische Sitzbank? Einen futuristischen Kinderspielplatz? Wir ahnen eine Funktion, können diese aber nicht einordnen. Auch scheinen die Grössenverhältnisse durcheinandergeraten zu sein: Die Objekte wirken kulissenhaft, als stammten sie von einem Filmset, womit sie die gängigen Wahrnehmungsmuster und Sehgewohnheiten unterlaufen.
Galerie Adrian Bleisch, Arbon
Die Gemälde von Ute Klein (*1965/CH, lebt und arbeitet in Amriswil TG) entstehen, indem sie die mit Leinöl oder Harzen stark verdünnte Ölfarbe auf Leinwände oder Papiere giesst. Durch rasches Drehen und Kippen lässt die Künstlerin die Farbe fliessen. Die Fliessstrukturen bestimmen die Bild- und Farbkompositionen: Die ineinander und gegeneinander geflossenen Farbflächen bleiben auch nach dem Trocknungsprozess gut sichtbar. Dieser Formfindungsprozess oszilliert zwischen Kontrolle und Zufall. Einerseits kann Ute Klein den Farbfluss mit ihren Bewegungen lenken und versuchen, den Verlauf der Farbe – auch im Trocknungsprozess – auf dem Bilduntergrund zu steuern. Andererseits setzt sie sich als Malerin der Eigenwilligkeit des Materials, dem physikalischen Gesetz der Schwerkraft und dem Zufall aus. Während die grossformatigen Leinwände mitunter an Landschaften erinnern und die Blicke und Bewegungen der Betrachterin, des Betrachters stark zu lenken vermögen, wecken die kleineren Bilder, die die Künstlerin erst seit 2013 fertigt, eher Assoziationen an Details von Pflanzen und Blüten. Zugleich sind die Arbeiten von Ute Klein aber immer auch kraftvoll, ja rau und verweisen auf das Fliessen und Donnern von Gletschern, Flüssen oder Lawinen. An der Werkschau zeigt die Künstlerin sechs dieser kleinen Gemälde sowie eine neue grosse Arbeit. Platziert in der KVA Weinfelden kontrastieren sie mit den Betonwänden und dem metallenen Gestänge des Maschinenraumes. Dabei erinnern sie uns nicht nur an die ebenso schwer zu kontrollierende Vegetation, die vor Ute Kleins grossem Atelierfenster in Amriswil wächst, sondern auch an das in den Tiefen der KVA lodernde Feuer.
Remise Weinfelden zu Gast in der KVA
Aurelio Kopainig (*1979/CH, lebt und arbeitet in Berlin und Buenos Aires) betreibt Forschung. Die Resultate seiner ausgedehnten Recherchen visualisiert er mit Zeichnungen, Texten, Installationen, Fotografien, Filmen oder Videos. Bereits seit einigen Jahren beschäftig er sich in verschiedenen künstlerischen Arbeiten mit den Auswirkungen der Gentechnologie auf die Agrarwirtschaft oder mit den ökologischen und sozialen Konsequenzen von landwirtschaftlichen Monokulturen. In diesem Kontext sind auch die zwei an der Werkschau gezeigten Arbeiten entstanden. Die in Kollaboration mit der Künstlerin Julia Mensch (*1980/ARG, lebt und arbeitet in Berlin und Buenos Aires) entwickelte Installation Malvinas Argentinas, Córdoba / Notes from the Route of the Green Gold Rush (2015-16) fokussiert die Situation in Argentinien, wo der Biotechnologiekonzern Monsanto 1996 eine Sojabohne als erstes gentechnisch verändertes Getreide auf den Markt gebracht hat. Die im Labor gezüchteten Pflanzen werden auf riesigen Flächen angebaut und aus Flugzeugen mit giftigen Pestiziden besprüht. Der Anbau des Gensojas verändert die Landschaft massiv, Krebs und andere Krankheiten – wohl verursacht durch das Gift – häufen sich unter den einheimischen Menschen. Malvinas Argentinas, ein Vorort der argentinischen Stadt Córdoba, ist dabei zum Inbegriff des wachsenden zivilgesellschaftlichen Widerstandes geworden: Seit 2012 ist der von Monsanto angekündigte Bau einer Saatgutfabrik blockiert. Die Zeichnungen aus dem Werkkomplex Crop Culture, an dem Aurelio Kopainig seit mehreren Jahren arbeitet, spinnen diese Fäden weiter und beleuchten unter anderem auch die in Europa geführten Diskussionen um gentechnisch veränderte Lebensmittel.
Kunstmuseum Thurgau
Seit Mitte der 1970er Jahren arbeitet Herbert Kopainig (*1952/CH, lebt und arbeitet in Diessenhofen) an seinem künstlerischen Langzeitprojekt INSTITUT PANOPTIKUM wundersam, das er ein „Gesamtszenarium“ nennt–. Er kreiert ein ganz eigenes Universum, das sich visuell und räumlich in einer Art von begehbarem Parcours manifestiert, in das er Malerei, Objekte, Fotografien, Videoprojektionen oder Texte integriert. Inmitten dieses panoptischen Szenarios agiert der bärtige, huttragende Elias Wundersam – Kunstfigur, Welten- und Zeitreisender wie auch Alter Ego von Herbert Kopainig– und verwischt die Grenzen zwischen Kunst und Leben. Dabei verweist der Begriff des Panoptikums nicht nur auf ‚alles’ (griech.: pān) und 'zum Sehen gehörende' (griech.: optikó), sondern meint ebenso eine Wunderkammer oder ein Kuriositätenkabinett, das auf Michel Foucaults Konzept des Panoptismus als disziplinierendes Ordnungsprinzip westlicher Gesellschaften verweist. Herbert Kopainig spielt mit all diesen Facetten. Er deutet sie um, interpretiert sie neu und schafft daraus ein interdisziplinäres und unangepasstes Gesamtkunstwerk. An der Werkschau zeigt er das Environment Waldhaus-Wunderkammer. Die Waldhäuser hat Herbert Kopainig – oder war es Elias Wundersam? – auf einer panoptischen Expedition zur Terra Incognita entdeckt und ist seither fasziniert von diesen prähistorischen Herbergen. Lassen auch wir uns faszinieren.
Galerie Adrian Bleisch, Arbon
Gabriel Kuhn (*1989/CH, lebt und arbeitet in Luzern), der an der Hochschule Luzern (HSLU) einen Bachelor in Illustration und einen Master in ‚Art in Public Spheres’ absolviert hat, erarbeitet sich seine künstlerischen Projekte oftmals gehend. Ausgerüstet mit Stift, Notizbuch und Fotokamera durchwandert er zersiedelte Agglomerationen, städtische Peripherien oder abgelegene Täler. Dabei beobachtet er aufmerksam, fotografiert und schreibt. Die Ergebnisse solcher Erkundungen bündelt er beispielsweise in Buchform – so geschehen in der Publikation Vom Gehen (2015) – wo er Texte, Zeichnungen und Bilder kombiniert oder aber – wie an der diesjährigen Werkschau – in Fotografien festhält. Stadtrand nennt er die im Kunstraum Kreuzlingen ausgestellte Serie, die Fotografien verschiedener Formate aus den Jahren 2013 bis 2015 versammelt. Wir sehen Hagelkörner im Gras, ins Abendlicht getauchte Hochhausfassaden und karge Betonbalkone. Die Bilder sind Blicke auf die Peripherie der Stadt Luzern, könnten aber genauso gut sonst wo entstanden sein. Sie zeigen das typisch vorstädtische Siedlungsgebiet, das uns allen vertraut ist und irgendwo hinter Olten, Wallisellen oder Frauenfeld beginnt.
Kunstraum Kreuzlingen
Anita Kuratle (*1967/CH, lebt und arbeitet in Basel) spielt mit unserer Wahrnehmung von Räumen und Dingen. Dazu bedient sie sich des Moments der (optischen) Täuschung. In ihren oft installativen Arbeiten präsentiert sie Objekte, die nicht sind, was sie vorgeben, und kreiert stattdessen Perspektiven und Blickwinkel, die uns als Betrachterinnen und Betrachter in die Irre führen. Sie legt einen Tisch und vier Stühle auf den Boden des Ausstellungsraumes und suggeriert einen Aufblick auf die Szenerie, obschon wir doch mit festem Boden unter den Füssen daneben stehen. Sie fertigt eine hölzerne Treppe, die aus der weissen Wand des Ausstellungraumes ragt, sich beim Blick von der Seite jedoch als verzerrtes, ja nicht-funktionales Ding entpuppt. In neueren Arbeiten nutzt die Künstlerin die Technik des Papierschnittes und schafft feine Gebilde, die sie mit Stecknadeln an der Wand befestigt. Die so entstehenden Motive – beispielsweise Hochhausfassaden oder ein Walddickicht – heben sich in dunklen Linien vom hellen Hintergrund ab und scheinen dabei filigran und robust zugleich. Auch die an der Werkschau gezeigte Arbeit Skizzenbuch Seite X (2016) gründet auf dem formalen Element der Linie und irritiert unsere räumliche Wahrnehmung. Mit einem Papierschnitt und Keramikobjekten überträgt Anita Kuratle – der Werktitel suggeriert es – eine Zeichnung in den Raum, auf Boden und Wand des Ausstellungsraumes. Je nach Blickwinkel sehen wir die zweidimensionale Ansicht einer vagen, nicht eindeutig identifizierbaren Landschaft oder finden uns plötzlich wieder mitten im Skizzenbuch der Künstlerin.
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Kunstraum Kreuzlingen
Sonja Lippuner (*1987/CH, lebt und arbeitet in Basel) ist ausgebildete Steinbildhauerin und hat an der Kunsthochschule Basel einen Bachelor in bildender Kunst absolviert. Sie arbeitet mit verschiedenen Medien und Materialien. So schafft sie aus Gips, Holz, Wachs, Seidenpapier oder Kleister kleine Objekte oder grosse Installationen oder animiert analoge Fotografien zu geloopten Videoarbeiten. Wiederkehrende visuelle Elemente sind dabei verschiedene Architekturen. Sonja Lippuner fertigt diese als formal reduzierte Objekte aus Karton oder MDF oder hält gefundene Häuser in Fotografien fest. Die visuelle Präsenz dieser architektonischen Formen verweist auf ihr Interesse an der Erscheinung und der Veränderung von Landschaften. Sie beobachtet die mit der Zersiedelung einhergehende Auflösung von ländlich geprägten Regionen oder spürt den immer homogeneren Erscheinungsbildern von Dörfern irgendwo im Schweizer Mittelland nach. Das in ihren Arbeiten immer wieder auftauchende Haus mit dem klassischen Giebeldach – der Inbegriff des Schweizer Traums vom Eigenheim – erscheint dabei als Symbol für diese Transformationen. Zugleich spielt für die Künstlerin auch das Moment der mitunter nostalgischen Erinnerung eine entscheidende Rolle. Selbst im ländlichen Thurgau aufgewachsen, konfrontiert sie bei Streifzügen durch alte Heimaten ihre eigenen Erinnerungsbilder an die Landschaft mit der gegenwärtigen Realität von austauschbaren Überbauungen mit akkurat geschnittenen Rasenflächen und palmenbestücken Sitzplätzen. An der Werkschau zeigt sie neu entstandene Arbeiten, die alle den dem Lateinischen entlehnten Begriff ‚habitat’ – also Lebensraum – im Titel tragen.
Remise Weinfelden zu Gast in der KVA
Als ‚ungehobelt’ bezeichnet Rachel Lumsden (*1966/GB, lebt und arbeitet in St. Gallen und Arbon TG) ihre Malerei. Die meist mit Öl gefertigten Gemälde muten mitunter skizzenhaft und fragmentarisch an. Obschon grundsätzlich der Figuration verpflichtet, sind die Dinge oft nur angedeutet und die eigentlichen Bildmotive nur zu erahnen. „Ich will nicht unbedingt zu Ende malen“, sagt die Künstlerin dazu. Sie trägt die Farbe dick auf, giesst sie aber auch auf die Leinwand, um dem Unerwarteten, dem Unkontrollierten, Raum zu geben. Dabei sind die Leinwände zumeist grossformatig und mindestens so hoch, wie die Künstlerin gross ist. Die Arbeit am Bild stellt für sie auch einen körperlichen Akt dar. An der Werkschau präsentiert sie drei Bilder: Apply Within (2015), Leap Minute (2015) und The Elder Flower (2014). Apply Within zeigt ein Interieur, wie Rachel Lumsden es oft malt. Dabei interessiert sie sich insbesondere für die Lampen und die Möbel, die sie als Spuren der abwesenden Bewohner interpretiert. Die häusliche Idylle ist jedoch auch trügerisch, späht doch eine Gestalt durchs Fenster hinein. Auch Leap Minute zeigt einen Innenraum: Die zwei spielenden Mädchen erscheinen jedoch nur schemenhaft vor gemustertem Teppich und Tapete. Überaus rätselhaft ist die Figur in The Elder Flower: Spriessen einer alten Frau Blumen auf dem Rücken? Beugt sie sich über eine Strasse, auf der ein Zaun lange Schatten wirft oder steht sie in einem Zimmer im Halblicht einer Jalousie?
Kunstraum Kreuzlingen
Valentin Magaro (*1972/CH, lebt und arbeitet in Winterthur) hat sich in den 1990er Jahren an der Zürcher Hochschule der Künste zum wissenschaftlichen Zeichner ausbilden lassen. Entsprechend zeugen seine künstlerischen Arbeiten von einer genauen Beobachtungsgabe und hoher technischer Präzision. Seine figurativen Acrylbilder basieren auf detaillierten zeichnerischen Vorstudien, die er in Ausstellungen dem vollendeten Gemälde zur Seite stellt. Und dennoch sind seine Gemälde und Zeichnungen keine detailgetreue Wiedergabe der Wirklichkeit. Wohl können wir in seinen Arbeiten die abgebildeten Dinge erkennen und benennen – eine Frau im bunten Kleid, ein Blumenstrauss oder ein kopfspringender Junge. Die inhaltlichen Zusammenhänge zwischen diesen Bildfragmenten muten aber geheimnisvoll an. Valentin Magaro hält fest, dass ihn dabei immer wieder die gleiche Fragestellung umtreibt: „Was war eigentlich zuerst: Die Welt oder ihr Abbild?“. Auch an der Werkschau zeigt der Künstler eine Acrylarbeit und eine Auswahl der dazugehörenden Vorstudien, um so den Prozess der Bildentstehung und Motivfindung offenzulegen. Das Gemälde ist eine Art malerische Collage der Skizzen, die er im Sommer 2015 auf Bali gemacht hat, und der später in der Schweiz entstandenen zeichnerischen Vorstudien. Die hinduistische Kultur mit ihren Gottheiten, die reich verzierten sakralen Bauten und Wohnhäuser und die Kraft der narrativen Bildfindungen faszinieren Valentin Magaro. Diese Anziehung offenbart sich nicht nur in den Skizzen von mitunter unheimlichen, maskenartigen Köpfen, sondern auch in dem seltsam surrealistisch scheinenden Acrylgemälde.
Galerie widmertheodoridis, Eschlikon
Philippe Mahler (*1957/CH, lebt und arbeitet in Kreuzlingen TG) ist Maler. Einst ausgebildet als Glasmaler, malt er heute ausschliesslich mit Öl und Acryl auf Leinwand. Er malt verlassene Sonnenterrassen oder Wohnräume mit einem Stuhl, einem Spiegel, Ausblicke von leeren Strandbars auf Dünen- und Meerlandschaften. Alltägliche Objekte – einen Teller, ein hingeworfenes weisses Handtuch, einen gelben Schwamm. Seine Bilder, meist menschenleer, haben den Charakter von Stillleben. Es scheint, als seien die Bewohnerinnen und Bewohner dieser Interieurs eben erst weggegangen und hätten, vielleicht in der Eile, den Hut auf der Stuhllehne, das Tuch auf dem Boden, die Stiefel auf dem Treppenabsatz vergessen. Die Gemälde bleiben rätselhaft und wecken die Neugierde auf die Geschichten, die sich hinter diesen mitunter bühnenartigen Architekturen verbergen. An der Werkschau zeigt der Künstler eine seit 2015 im Entstehen begriffene Serie von Gemälden, die er Blick ins Atelier nennt. Wir sehen an die Wand gelehnte, mit frisch grundierter Leinwand bespannte Keilrahmen oder blicken auf deren Rückseiten mit den hölzernen Verstrebungen. Helles Tageslicht fällt durch die Fenster und wirft Schatten auf Wand, Boden und Bilder. Damit steht Philippe Mahler in der Bildtradition der Atelierstillleben: Immer wieder haben Künstlerinnen und Künstler ihre Arbeitsorte und Arbeitswerkzeuge zeichnerisch, malerisch, fotografisch oder installativ dargestellt. Philippe Mahler ist dabei – und das ist ein Charakteristikum dieser Art von Bildfindungen – abwesend und anwesend zugleich. Wohl sind auch diese Gemälde menschenleer, und doch ist er als Künstler präsent. Die noch unbemalten, aber vorbereiteten, Leinwände warten auf die künstlerische Intervention.
Kunstraum Kreuzlingen
Joëlle Menzi (*1984/CH, lebt und arbeitet in Zürich) hat an den Kunsthochschulen in Luzern und Zürich Kunst respektive Kunstvermittlung studiert. Sie fotografiert, entwickelt Videoarbeiten, schafft Objekte aus Gips oder Holz oder fertigt mit Beize und Acrylfarbe collagierte Malereien. In jüngeren Arbeiten hat sie sich wiederholt mit der Frage nach der Präsenz und der Darstellbarkeit der Natur in der Kunst der Gegenwart beschäftigt. So hat sie beispielsweise Zierbäume auf einem Friedhof fotografiert oder die Überreste eines gefällten Baumes in einem Ausstellungsraum inszeniert. An der Werkschau zeigt sie die installative Arbeit MIC (Mobile Instant Chalet) (2015) und eine Serie von neuen Siebdrucken. Mit diesen Werken unternimmt sie eine durchaus augenzwinkernde Transformation des sogenannten Schweizer- oder Chalet-Stils in die Gegenwart. Eine historistische Version dieser Chaletarchitektur verbreitete sich im 19. und frühen 20. Jahrhundert in verschiedenen Ländern – auch bedingt durch Schweizer Auswanderinnen und Auswanderer. Die charakteristischen Holzverzierungen an Dächern oder Balkonen gründeten auf einem vielfältigen Formenvokabular, das der deutsch-schweizerische Architekt Ernst Gladbach 1868 in einer Publikation akribisch dokumentiert hatte. Joëlle Menzi nimmt diese Radierungen als Vorlage für die auf Bauwollstoff aufgetragenen, grafischen Siebdrucke und fertigt daraus eine Art mobiles Chalet in Zeltform. Die Arbeit ist daher auch ein Kommentar zu den gegenwärtigen Migrationsbewegungen und den hitzigen Debatten über kulturelle Zugehörigkeiten. Die eigens für die Werkschau geschaffene Siebdruckserie zeigt Überlagerungen von formverwandten Ornamenten aus dem arabischen Raum mit Motiven aus der Chaletarchitektur.
Galerie Adrian Bleisch, Arbon
Seit 2005 realisieren Alex Meszmer (*1968/DE, lebt und arbeitet in Pfyn TG) und Reto Müller (*1974/CH, lebt und arbeitet in Pfyn TG) gemeinsame künstlerische Projekte. In diesen streben die beiden Künstler mehr an als die blosse Produktion und Präsentation eines Kunstwerkes. Vielmehr sollen Leben und Kunst vermengt und die Betrachterinnen und Betrachter zum Partizipieren, Mitdenken und Diskutieren angeregt werden. In Vorhaben wie dem 2006 gegründeten Transitorischen Museum zu Pfyn – eine Kommunikations- und Sammelstelle für Geschichte und Geschichten der Gemeinde Pfyn – ergründen Alex Meszmer und Reto Müller die Konstruktion von Geschichtsschreibung und unterscheiden in ihrer Akkumulation von Sammlungsexponaten und Geschichte(n) bewusst nicht zwischen Original und Kopie, zwischen Realität und Fiktion. Auch im Rahmen des Projektes Club Désirer (2014/15) setzen sie sich mit der Visualisierung und der Reaktivierung von historischen Gegebenheiten auseinander. In zwei Aktionswochen in Bologna und Montevideo (Uruguay) reinszenieren sie das die erstarkende Arbeiterschaft zeigende Gemälde Il Quarto Stato (1898–1901) des italienischen Malers Giuseppe Pellizza da Volpedo und bilden die in verändertem Kontext tätigen Arbeiterinnen und Arbeiter des 21. Jahrhunderts ab. An der Werkschau zeigen sie Arbeiten aus der Serie Some countries are doing great work (2014/16). Die sechs Objekte sind aus gefundenen Materialien gefertigt, und aus jedem erklingt eine andere Soundcollage. Wenn wir genau hinhören, erkennen wir die Stimme von Angela Merkel, Silvio Berlusconi oder Christoph Mörgeli. Inwieweit die im Werktitel vorgenommene Beurteilung mit Ironie aufgeladen ist, können wir beim Zuhören selbst entscheiden. Und vielleicht überlegen wir uns , wie die Geschichtsschreibung dereinst über uns urteilen wird.
Galerie Adrian Bleisch, Arbon
Natascha Mitfessel (*1969/CH, lebt und arbeitet in Zürich) hat an der Universität der Künste in Berlin Malerei studiert. Die Malerei ist auch heute noch ihr bevorzugtes künstlerisches Medium. Dabei treiben sie insbesondere Fragen nach den spezifischen Eigenheiten dieses Mediums um. Sie forscht nach der Bedeutung der Leinwand als Bildträger und dehnt die Malerei darüber hinaus in den Raum. Immer wieder beschäftigt sie sich mit dem Status des malerischen Originals und versucht diesen mit verschiedenen Methoden aufzubrechen. Sie fertigt eigentliche Verdoppelungen, indem sie versucht, ein Gemälde zweimal identisch zu malen – was natürlich nie ganz gelingt – oder drückt einen Gegenstand auf zwei Leinwände, um durch diesen Abdruck ähnliche Bildkompositionen zu generieren. Zugleich experimentiert sie mit Faltbildern und schafft dadurch achsensymmetrische Gemälde, die an die sogenannten Rorschach-Tests erinnern und das assoziative Vorstellungsvermögen der Betrachterinnen und Betrachter anregen. Für die Werkschau Thurgau hat Natascha Mittfessel eine ortsspezifische, mehrteilige Arbeit aus verschiedenen Bildern und Bildelementen entwickelt, die die Wände der Kunsthalle Arbon in Beschlag nimmt. Auch bei diesen neuen Bildern geht es Natascha Mitfessel vor allem um die Frage nach der ‚Bildfindung’. Sie drückt Gegenstände auf die Leinwand, schichtet und verwischt Farbe, um, wie sie sagt, „etwas Bild-haftes“ zu erhalten.
Kunsthalle Arbon
Heike Müller (*1970/CH, lebt und arbeitet in Basel) malt mit Ölfarbe Menschen, Häuser und Szenen aus der Welt, die sie umgibt. Ausgebildet an der Kunsthochschule in Basel und an der Gerrit Rietveld-Akademie in Amsterdam, schafft die Künstlerin gegenständliche Bilder, die sie jedoch durch Farbgebung, bewusste Auslassungen und kleine, visuelle Irritationen abstrahiert und verfremdet. Anlässlich der Werkschau zeigt sie eine Auswahl an neuen Ölgemälden und eine Serie von Arbeiten auf Papier. Als motivische Vorlage dienen ihr dabei alte Schwarz-Weiss-Fotografien, die sie auf Flohmärkten oder in Brockenhäusern findet. Diese Familienportraits oder Ferienschnappschüsse zeigen unbekannte Menschen und sind nicht selten intime Einblicke in fremde Biografien. Heike Müller nähert sich diesen Geschichten denn auch auf behutsame Art und Weise an: Die Gesichter sind unscharf – als wolle sie die abgebildeten Personen vor fremden Blicken schützen. Bei den Ölbildern verwendet sie oft dezente Farben, setzt aber Akzente – ein leuchtend rotes Kleid oder hellblaue Sonnenlichtflecken –, die Spannung in die Bildkompositionen bringen. Bei den Papierarbeiten aus der Serie Albumblatt bedient sie sich einer eingeschränkten Farbpalette und malt direkt auf die Seiten der gefundenen Fotoalben, wo ihre Bilder mit den alten Fotografien in einen Dialog treten. Wir blicken auf den jungen Mann in blauen Badehosen, der lässig an einem weiten Sandstrand posiert oder auf die Frau im roten Sommerkleid, deren Körper in der gleissenden Nachmittagssonne einen langen Schatten wirft. Wir erhaschen einen Blick auf diese fremden Leben und für einen kurzen Moment scheinen die Menschen auf den Bildern ganz nah.
Galerie Adrian Bleisch, Arbon
Rahel Müller (*1964/CH, lebt und arbeitet in Zürich und Pfyn TG) ist seit den frühen 1990er Jahren als freischaffende Künstlerin tätig. In ihrem Atelier in einem ehemaligen Pförtnerhaus auf einem Fabrikgelände ausserhalb von Pfyn entwickelt sie Kunst am Bau-Projekte, Fotografien, Performances, sie malt, zeichnet und schreibt. Vielen ihrer Arbeiten ist eine Art der Flüchtigkeit, ja etwas Zerbrechliches und Feines immanent. Mitte der 1990er Jahre experimentiert die Künstlerin mit Gelatine und Wachs und schafft die Serie Haut – Hüllen, die aus durchscheinenden, fragil wirkenden Objekten besteht. Für die 1997 begonnene und noch immer wachsende Serie In the silence between the sounds, I listen fertigt sie mit einer Leica-Kamera analoge, verschwommene Fotografien. Es sind Ansichten einer sich im Nebel verlierenden Strasse, eines grauen Horizontes – Bilder, die gleichsam unter unseren Blicken wieder zu verschwinden scheinen, sich verflüchtigen. Für die Werkserie breathing space (2015) arrangiert Rahel Müller verschiedene in Brockenhäusern, auf Flohmärkten oder sonst wo gefundene Objekte zu collageartigen Assemblagen. Verblichene Portraitfotografien, getrocknete Blumen oder vergilbte Glasuntersetzer aus Spitze verweisen auf die Vergänglichkeit des Lebens und auf die Flüchtigkeit der Erinnerung. An der Werkschau zeigt Rahel Müller vier grossformatige Arbeiten: opening zone (2016), returning zone (2015), reflecting zone (2016) und converting zone (2015). Die in kontemplativer Arbeit von Hand auf die Leinwände aufgetragenen Punkte bestimmen die Struktur der Gemälde, die gemäss der Künstlerin drehbar und ohne fixe Vorgabe zu hängen sind. Die Wahrnehmung der Bilder bleibt dabei stets flüchtig: Je nach Blickwinkel und Sonnenlichteinfall glänzen und schimmern sie ganz unterschiedlich.
Galerie widmertheodoridis, Eschlikon
Raoul Müller (*1975/CH, lebt und arbeitet in Zürich), der an den Kunsthochschulen in Zürich und Hamburg studiert hat, thematisiert in seinen Arbeiten immer wieder die Beschaffenheit von urbanen, öffentlichen Räumen. Er interessiert sich insbesondere für Fragen, wie der Zugang zu diesen gewährleistet oder verwehrt wird. Während er früher vor allem gemalt hat, schafft er seit einigen Jahren auch installative oder fotografische Arbeiten. Für die Fotoserie on the far side (2016) beispielsweise fotografiert er verschiedene Arten architektonischer Absperrelemente. Dabei überlässt er es unserer Imagination, was sich jenseits – also ‚on the far side’ – dieser Zäune, Tore und Mauern verbergen könnte. Die an der Werkschau gezeigte Serie nennt Raoul Müller No-go-Zonen (2016). Mit Kohle, Bleistift, Lackfarbe und Grafitstift schafft er dunkle Gemälde, auf denen die Konturen von Strassenzügen, Hausfassaden oder Schaufensterfronten zu erkennen sind. Als Vorlage dienen ihm im Internet gefundene Fotografien. Mit den bisweilen beklemmenden Bildern thematisiert Raoul Müller die Veränderung des urbanen Raumes im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit. Die in vielen westlichen Grossstädten aus Angst vor Terror getroffenen Sicherheitsmassnahmen begrenzen die Zugänge zu öffentlichen Räumen und beschneiden die Bewegungsfreiheit insbesondere von nicht-weissen Bürgerinnen und Bürgern. Plätze oder Strassenzüge werden zu No-go-Zonen, in denen kein Leben mehr stattfinden kann. Die düsteren, unscharfen Bilder von Raoul Müller versuchen die Angst und ihre Auswirkung auf die städtische Topografie sicht- und spürbar zu machen.
Galerie widmertheodoridis, Eschlikon
Skulpturen, Film oder performative Arbeiten – Reto Müller (*1984/CH, lebt und arbeitet in Stein am Rhein SH) nutzt die verschiedensten Ausdrucksmittel für seine künstlerische Praxis. Ausgebildet in Szenografie an der École internationale de Théâtre Jacques Lecoq in Paris und in bildender Kunst an der Kunsthochschule in Sitten (VS), ist er heute auch Co-Betreiber des Ausstellungsraumes Harpe 45 in Lausanne. Reto Müller pendelt also nicht nur zwischen den Medien, sondern auch zwischen einer künstlerischen und einer kuratorischen Praxis. Viele seiner Projekte entstehen in Kollaborationen. So hat er beispielsweise mit dem Performance- und MusikerInnenkollektiv Antipro am Goethe Institut in Ouagadougou, der Hauptstadt Burkina Fasos, die Arbeit Realitätsabgleich 1 (2012) entwickelt, die als vor Ort nachgespieltes Drehbuch der Kommunikation zwischen Menschen aus verschiedenen kulturellen Kontexten nachspürte. Die Arbeit Ein essentieller Knoten (2016) hat er gemeinsam mit dem Künstler Vincent Hofmann entwickelt: Mit drei riesigen, in der Sandwüste Marokkos ausgesetzten Skulpturen thematisieren die zwei Künstler die Fragen nach der Beschaffenheit der Orte, wo Kunst rezipiert und inszeniert wird. An der Werkschau agiert Reto Müller für einmal wieder allein und zeigt eine Arbeit aus der Serie Festarchitektur – Gebilde hoher Zwecklosigkeit (2015/16). Als Reaktion auf das vom Frauenfelder Architekturbüro Antoniol + Huber 1996 erbaute Gebäude der KVA, das der Architekturkritiker Benedikt Loderer in der Zeitschrift Hochparterre eine „Kathedrale des Abfalls“ nennt, zeigt Reto Müller ein Fassadenmodell aus Palladium.
Remise Weinfelden zu Gast in der KVA
Die Malerei ist das künstlerische Hauptausdrucksmittel von Bettina Mürner (*1983/CH, lebt und arbeitet in Trogen AR). Sie malt mit Ölfarbe und mit Tusche auf Leinwand, Papier oder Karton. Die Motive stammen aus dem stetig wachsenden Bildarchiv der Künstlerin: Seit Jahren fotografiert sie auf ihren Reisen und Streifzügen Menschen, Städte oder Landschaften. Für die Landschaft und deren malerische Umsetzung interessiert sich Bettina Mürner ganz besonders. Die an der Werkschau ausgestellte sechsteilige Gemäldeserie Desert (I–VI) zeigt südamerikanische Wüstenlandschaften. Auf den stets paarweise angeordneten Bildern sehen wir sandfarbene, felsige Bergkämme und Schluchten, schneebedeckte Gipfel oder karge Landstriche. Spuren von menschlicher Zivilisation sind keine zu erkennen. Die Möglichkeit zur exakten geografischen oder kulturellen Verortung ist für die Künstlerin denn auch unwichtig. Vielmehr will sie uns vor Augen führen, dass auch eine vermeintlich unberührte Landschaft immer einen kulturellen Raum darstellt, dass deren Abbildung immer auch Repräsentationscharakter hat und dass wir als Betrachterinnen und Betrachter stets unsere eigenen Assoziationen dazu entwickeln.
Remise Weinfelden zu Gast in der KVA
Digitale Bilder aus den unterschiedlichsten Quellen – selbst gefertigte Fotografien oder im Internet gefundene Abbildungen – dienen Elisabeth Nembrini (*1960/CH, lebt und arbeitet in Berg SG) als künstlerisches Material. Diese Bilder verändert sie in langsamen Arbeitsprozessen und übersetzt sie in fototechnisch höchst experimentellen Verfahren in andere Medien. So verfremdet sie beispielsweise digitale Ausdrucke von Fotografien mit einem feinen Lochmuster und projiziert sie in der Dunkelkammer direkt auf lichtempfindliches Barytpapier. Dabei brennen sich die durch die Lochung entstandenen Lichtpunkte als dunkle Flächen auf dem Papier ein und kreieren eine analoge Lichtzeichnung. Auch die an der Werkschau präsentierten Arbeiten aus der Serie Speicher (2015) basieren auf Bildern, die Elisabeth Nembrini in mehreren Schritten transformiert und medial übersetzt. Die an die Wand geworfenen Motive zeigen teilweise unbeholfene hölzerne Konstruktionen – Hütten und einfache Schuppen. Die Vorlagen dieser Bildfindungen sind Fotografien, die die Künstlerin auf Reisen und Wanderungen aufgenommen hat. In einem digitalen Bearbeitungsprozess wendet sie die Fotografie vom Positiv ins Negativ, macht Auslassungen und fokussiert die unerklärlichen, ja auch unheimlichen Bildelemente. In einem weiteren Arbeitsschritt überträgt Elisabeth Nembrini die Fotografie ins Medium der Zeichnung, die sie in eine mit Farbe beschichtete Glasplatte kratzt und schliesslich mit einem Hellraumprojektor gross an die Wand projiziert. Der Begriff des Speichers bezieht sich in diesem Kontext nicht nur auf die gezeigten architektonischen Strukturen, sondern meint auch einen visuellen Speicher jener Bilder, die sich in unser Gedächtnis brennen, die mitunter digital manipuliert und gerade deswegen nicht minder einprägsam sind.
Kunstmuseum Thurgau
Lika Nüssli (*1973/CH, lebt und arbeitet in St. Gallen) ist ausgebildete Textildesignerin und hat an der Hochschule Luzern (HSLU) Illustration studiert. Sie zeichnet, malt, illustriert und realisiert Performances. „Ich bin eine Grenzgängerin“, sagt sie von sich. Diese Aussage bezieht sich nicht nur auf ihre Verweigerung, sich auf ein bestimmtes Ausdrucksmittel festzulegen, sondern offenbart sich auch ganz unmittelbar in ihrer künstlerischen Praxis. Seit einigen Jahren experimentiert sie mit verschiedenen Formen des performativen Zeichnens und lotet dabei ihre eigenen physischen und psychischen Grenzen aus. So hat sie beispielsweise im Frühling 2016 gemeinsam mit dem Künstler Herbert Weber im Haus zur Glocke in Steckborn die Langzeitperformance 10 Tage ohne Worte durchgeführt. Auch ihre performativen Zeichnungsaktionen Drawinghell sind mitunter Grenzerfahrungen, in denen das Zeichnen zur Hölle werden kann. In Drawinghell wachsen die vor Ort und über eine längere Zeitspanne hinweg ausgeführten grossen Zeichnungen zu begehbaren Rauminstallationen an. Lika Nüssli lebt, isst und schläft inmitten ihrer wuchernden Zeichnungen. Nicht selten schliesst sie sich dabei erst einmal für einige Tage im zu bespielenden Raum ein. Konfrontiert mit dieser weissen Papierhölle und Papierhöhle arbeitet sie intuitiv und assoziativ, tastet sich mit Pinsel, Farbe und Fingern von einem Motiv zum nächsten. Anlässlich der Werkschau hat sie für den Shed in Frauenfeld eine weitere Drawinghell entwickelt. Nun entstehen die Zeichnungen auf transparenten Stoffen, die unter der gezackten Dachstruktur der ehemaligen Industriehalle hängen.
Shed im Eisenwerk, Frauenfeld
Willi Oertig (*1947/CH, lebt und arbeitet in Kradolf TG) ist künstlerischer Autodidakt und malt seit den frühen 1970er Jahren realistische, meist menschenleere Bilder, die still, manchmal auch unheimlich anmuten. Er malt mit Ölfarbe eine von kaltem Neonlicht beleuchtete Tankstelle im nächtlichen Weinfelden, das im Sonnenlicht gleissende Kraftwerk im thurgauischen Kradolf, eine Metrostation in Paris oder den Blick von einem Schiff auf die Berge am Lago Maggiore. Oertig findet seine Motive nicht selten auf (nächtlichen) Spaziergängen und Fahrradfahrten. Die dabei gefertigten Fotografien dienen ihm später im Atelier als Vorlage. Das Unterwegssein manifestiert sich in seiner künstlerischen Arbeit im doppelten Sinne. Einerseits ist der Maler viel unterwegs. Unterwegs zwischen dem Thurgau, dem Tessin oder Paris. Andererseits ist seinen Bildern diese mit dem Unterwegssein einhergehende, unbestimmte Sehnsucht nach der Ferne immanent. Die zwei an der Werkschau präsentierten Ölgemälde Mini-Bar im TGV 1 und Mini-Bar im TGV 2 (beide von 2015) referieren genau das. Sie zeigen das Transportmittel des Reisenden und sind zugleich bildhafter Ausdruck von Fernweh. Die sanft geschwungenen Formen der Bar muten futuristisch an, derweil sich hinter dem Zugfenster die schwarze Nacht beziehungsweise ein blaudunstiger, endloser Horizont auftut. TGV (2015) dagegen zeigt den Blick jener Menschen, die am Bahnsteig zurückbleiben.
Kunstraum Kreuzlingen
Die Kunst von Christoph Rütimann (*1955/CH, lebt und arbeitet in Müllheim TG) ist äusserst vielfältig. Geprägt vom künstlerischen Aufbruchsklima im Luzern der 1970er Jahre, malt, zeichnet und performt er, schafft Installationen und arbeitet mit Foto- und Videokamera. Thematisch lassen sich in seinem Schaffen jedoch Kontinuitäten ausmachen. So beschäftigt er sich immer wieder mit der Linie als zwei- oder dreidimensionale Markierung oder mit dem physikalischen Gesetz der Gravitation. So konzipierte er beispielsweise 1993 in seinem Beitrag für die Biennale Venedig eine Schiefe Ebene in der Kirche San Staë. Seine andauernde Auseinandersetzung mit der Linie war erst kürzlich Thema seiner Einzelausstellung Die Linie im Kopf im Kunstmuseum Solothurn, wo er Videoarbeiten, Zeichnungen und Objekte gezeigt hatte. Zero and more nennt Christoph Rütimann die an der Werkschau ausgestellte Videoperformance. Realisiert 2014 in London, arbeitet der Künstler hierfür einmal mehr mit mechanischen Waagen. Die Waage als Instrument zur Bestimmung des Gewichtes nutzt er seit Mitte der 1980er Jahre immer wieder. Er konzipiert Waageskulpturen und Waageinstallationen, er stellt Waagen auf den Kopf, verschweisst sie miteinander oder stapelt sie zu Türmen. Dabei interessiert er sich nicht für die Waage als Symbol für Gerechtigkeit, sondern ist fasziniert von den Gravitationskräften die auf ihn wirken und von der Sensibilität der Waagen, die diese anzeigen. In Zero and more schreitet er mit an den Füssen angeschnallten, in Greenwich geeichten Waagen an den Füssen durch den Fussgängertunnel, der die Themse unterquert und mehr oder weniger entlang des Nullmeridians verläuft. Christoph Rütimann hat dabei sein Körpergewicht nicht nur auf zwei Waagen, sondern auf zwei Erdhälften verteilt. Derweil rauscht über ihm die wuchtig-schwere Wassermasse des Flusses.
Galerie Adrian Bleisch, Arbon
Lucie Schenker (*1943/CH, lebt und arbeitet in St. Gallen und Gottlieben TG) hat sich in den 1960er Jahren an der Schule für textiles Gestalten in St. Gallen zur Textilentwerferin ausbilden lassen. Seit Mitte der 1970er Jahre ist sie als freie Künstlerin tätig. Sie entwickelt raumgreifende Textil- oder Eisenplastiken, Kunst am Bau-Projekte oder schafft feine Zeichnungen. Dabei sind es drei Aspekte, die die Materialität und die formale und konzeptuelle Ästhetik ihrer Arbeiten prägen. Einerseits nutzt Lucie Schenker immer wieder textile oder vermeintlich textile Materialien. Sie verarbeitet Fallschirmseide zu einer durchschimmernden, hängenden Rauminstallation (staccato, 2009) oder fertigt aus feinen Eisendrähten oder Acrylglasstäben Skulpturen, die an Fadenknäuel erinnern. Andererseits windet sich die Linie – die in Anlehnung an das Textile auch ein Faden sein kann – als zentrales formales Mittel nicht nur durch ihre zeichnerischen, sondern auch durch ihre plastischen und skulpturalen Arbeiten. In figurativen Zeichnungen bildet sie menschliche Hände mit filigranen Linien ab, derweil sich in der Serie endlos (2014) dicke Grafitlinien über das Transparentpapier schlängeln. Mit Installationen wie arabesque (2013) kreiert sie eine Art Linienzeichnung im Raum und schafft leichtfüssige, fast tänzerische Skulpturen aus geschwungenen, dunklen Eisendrähten. Schliesslich setzt Lucie Schenker in ihren Arbeiten immer wieder auf Transparenz. Sie verwendet durchscheinende, leichte Materialien, spielt mit dem Licht als Werkbestandteil und erzeugt damit unerwartete Durchblicke. An der Werkschau zeigt Lucie Schenker die sechsteilige Zeichnungsserie Stadt (2015), in der sie wiederum mit der Linie spielt. Rötliche Linien verlaufen über die Blätter und erscheinen als die von Hand nachgezogenen Strassenadern einer Stadtkarte.
Kunstmuseum Thurgau
Das Atelier von Lisa Schiess (*1947/CH, lebt und arbeitet in Zürich und Waldstatt AR) befindet sich in einem ehemaligen Schulhaus in Zürich West. Mit Blick auf den gläsernen Prime Tower und umgeben von ihren älteren und neueren Arbeiten sowie von Fundstücken aller Art arbeitet die Künstlerin. Ihre oft als Langzeitprojekte konzipierten Werke changieren zwischen den Disziplinen – lehnen sich mal an die Musik, mal an die Literatur an – und pochen oft auf Partizipation. So verlangen ihre textbasierten Arbeiten wie beispielsweise der SEHERBRIEF (2015) nach Betrachterinnen und Betrachtern, welche die Handspiegelschrift der Künstlerin mit einem kleinen Spiegel entschlüsseln. Seit 2011 ist Lisa Schiess mit dem Projekt IL LEONE DELL’ ARSENALE beschäftigt: Dabei geht es um eine Säule im Arsenale von Venedig – die alte Schiffswerft ist ein Ausstellungsort der Kunst-Biennale – die auf Augenhöhe eine bröckelnde Nische aufweist, in der ein Löwengesicht zu erkennen ist. Dieses hat die Künstlerin vor vier Jahren zufällig entdeckt. Das ortgsbundene ‚Objet trouvé’ wird seither laufend dokumentiert. An der letzten Biennale hat Lisa Schiess begonnen, vor Ort Blitzaktionen zu inszenieren und diese zu dokumentieren. Anschliessend hat sie andere Kunstschaffende angeregt, ihre eigenen Guerilla-Aktionen durchzuführen und so Teil des Projektes zu werden. Für die Werkschau entwickelt Lisa Schiess die ortsspezifische Arbeit Bankgeheimnis (2016). Inmitten des Maschinenraums der KVA platziert die Künstlerin eine signalrote Sitzbank, daneben liegt u.a. ein Stapel ihrer assoziativen Snake-Gedichte. Einmal auf der Bank sitzend, finden die Besucherinnen und Besucher Ruhe und Kontemplation. Und sie können die aufgelegten Texte lesen – wenn sie wollen. Sie blicken auf die Symmetrie der Architektur und durch das rechteckige Fenster hinaus in den von keinem Horizont beschnittenen Himmel.
Remise Weinfelden zu Gast in der KVA
Mit Öl- und Acrylfarbe, manchmal auch mit Grafit, Tusche oder Kreide malt und zeichnet Kerstin Schiesser (*1970/CH, lebt und arbeitet in Degenau TG) auf grossformatigen Leinwänden oder kleinformatigem Papier. Die oft mit Weiss gemischten Farbtöne erzeugen eine gedämpfte Farbigkeit, die immer wieder von intensivem Blau, von roten, gelben oder orangen Flächen oder kräftigen dunklen Stellen aufgebrochen wird. Wir sehen Farbkontraste, Flächen und Linien. Pinselborsten oder hinunterfliessende Farbe hinterlassen auf der Leinwand Spuren. In diesem Sinne sind die Gemälde von Kerstin Schiesser abstrakt. Gemäss der in der klassischen Moderne unter anderen von Wassily Kandinsky geprägten Definition sind abstrakte Arbeiten Ausdruck einer die äusseren Ähnlichkeiten überwindenden ‚geistigen’ Kunst. Für Kerstin Schiesser ist die Malerei ein Mittel, um unsichtbare Dinge festzuhalten und abzubilden. Sie nennt Erinnerungen, Lyrik oder innere Landschaften als Quellen ihrer Gemälde. „Die Farbe lagert sich auf der Leinwand als Malerei ab. Ich nenne es das Strandgut innerer Landschaften“ schreibt die Künstlerin. Zugleich implizieren Bildtitel wie Schneeschmelze oder Nach der Sintflut einen konkreten Bezug zu realen Landschaften. Tatsächlich betont die Künstlerin, dass sie sich für jenes „Kippmoment zwischen abstrakter, geistiger Kunst und der sichtbaren äusseren Landschaft mit ihren Eigenschaften“ interessiert. An der Werkschau zeigt Kerstin Schiesser drei grosse Acylbilder. Die Arbeiten zeigen die Ablagerung von Farben unterschiedlicher Konsistenz auf dem Bildträger. Es entstehen geschichtete Bilder, die zwischen jenen inneren und äusseren Landschaften oszillieren.
Remise Weinfelden zu Gast in der KVA
Die Veränderung von Arbeit und Produktionszyklen in der postindustriellen europäischen Gegenwart sind ein wiederkehrendes Thema im Werk von Monika Schmid (*1977/CH, lebt und arbeitet in Winterthur ZH). Die Künstlerin hat an der F+F Schule für Kunst und Mediendesign in Zürich bildende Kunst und Fotografie studiert. In Ihrer Diplomarbeit Sulzer (2010/11) hat sie sich mit dem seit über 150 Jahren in Winterthur ansässigen Industrie- und Technologiekonzern Sulzer auseinandergesetzt. Die mit Pigmenttusche auf Transparentpapier, Acryl- oder Plexiglas gefertigten Zeichnungen zeigen leere Industriehallen oder Abbruchbaustellen. Sie visualisieren die räumlichen Veränderungen und städtebaulichen Auswirkungen in Winterthur, die durch die Schliessung der Sulzer-Produktionswerke und die Auslagerung dieser Arbeit an andere Standorte entstanden sind. Anlässlich der Werkschau zeigt sie in der Kunsthalle Arbon – einstiger Produktionsort für Blechverarbeitung – eine Installation, die aus mehreren Arbeiten besteht. Auf den zwei Leinwänden halle_1_g und halle_2_g (beide von 2015) sind – ähnlichen der Werkserie Sulzer – verlassene und im Abbruch begriffene Industriehallen zu sehen. Für Ideal X (2016) hat Monika Schmid mit Malerklebeband die Konturen eines riesigen Baukrans auf der Hallenwand markiert und Container aus Abfallmaterialien gefertigt. Die Arbeit verweist auf einen weiteren Effekt der postindustriellen Zeit. Einerseits werden durch die Verschiebung der Produktion an günstigere Standorte beispielsweise im globalen Süden hiesige Industriebauten mit grossen Baukränen abgerissen oder umgebaut. Andererseits müssen dadurch immer mehr industriell gefertigte Produkte oder Güter in riesigen Containern – Sinnbild für globale Handelsströme – zu uns transportiert werden.
Kunsthalle Arbon
Lukas Schneeberger (*1983/CH, lebt und arbeitet in St. Gallen) ist künstlerischer Autodidakt und malt. Er malt mit Öl-, Dispersions-, Sprüh- oder Acrylfarbe auf meist grossformatige Leinwände. Waren in seiner Malerei bis vor wenigen Jahren noch menschliche Köpfe oder Körper erkennbar, die mitunter an Gemälde der österreichischen Malerin Maria Lassnig erinnerten, sind die Bilder heute von intensiver Farbigkeit und abstrakt. Dabei sind der malerische Arbeitsprozess und die Bildentstehung auf der Leinwand sichtbar: Grobe Pinselstriche, schnelle Übermalungen oder die Spuren tropfender Farbe bestimmen die Strukturen der Gemälde. Die Malerei, verstanden als eine Arbeit, ist für Lukas Schneeberger ein zentraler Aspekt in seiner künstlerischen Praxis. Er betont die körperliche und die geistige Anstrengung, die seinem Malen innewohnen. Dabei verspürt er einen inneren Drang, nach seiner Erwerbsarbeit ins Atelier zu gehen und Leinwände zu bearbeiten. An der Werkschau Thurgau 16 zeigt er drei neue Gemälde.
Kunsthalle Arbon
Karin Schwarzbek (*1969/CH, lebt und arbeitet in Zürich) spürt in ihren Arbeiten den malerisch-handwerklichen Prozessen nach und untersucht, in welcher Form die Spuren der sichtbaren Welt in ihrer bewusst von narrativen Inhalten losgelösten Malerei vorhanden sind. Die Künstlerin fokussiert dabei in zweierlei Hinsicht auf den Körper. Einerseits setzt sie sich mit dem Bildkörper und seinen Bestandteilen auseinander. Karin Schwarzbek faltet, schneidet oder vernäht Leinwände, bemalt sie mit Emaillack oder arrangiert Keilrahmhölzer zu installativen Arbeiten. Andererseits taucht der Körper auch als Thema auf. So hat sie in einer neueren Arbeit die mit Emaillack beschichtete Leinwand zu schnittmusterähnlichen Formen geschnitten und daraus eine Art fragmentierten menschlichen Kleiderkörper geschaffen. Auch die menschliche Haut interessiert sie. In der Auseinandersetzung mit der traditionellen Technik des Inkarnats – also der Darstellung von Hauttönen – spürt sie der für ihre künstlerische Praxis relevanten Analogie zwischen Leinwand, Farbe und Haut nach. Die an der Werkschau präsentierte Arbeit 049ff. (2015/16) – seit 2015 nummeriert sie ihre Werke durchgehend – greift diesen Themenkomplex auf. Die mit Leinöl bearbeitete Baumwolle schimmert hautfarben, derweil sich die Keilrahmhölzer wie Skelette dahinter abzeichnen. Das ebenfalls gezeigte Objekt 046 (2015) spielt mit den bildkörperlichen Eigenheiten der mit Lack und Acrylfarbe beschichteten Leinwand, die im rechten Winkel geknickt zum dreidimensionalen Objekt wird.
Galerie widmertheodoridis, Eschlikon
Peter Somm (*1940/CH, lebt und arbeitet in Herrenschwanden BE) ist künstlerischer Autodidakt. Er hat in den 1960er Jahren in Zürich Medizin studiert und in der Folge bis 1999 in Teilzeitarbeit als Anästhesist praktiziert. Angetrieben von seiner Beschäftigung mit Paul Klee (1879–1940), Johannes Itten (1888–1967) und den Zürcher Konkreten begann er bereits während seines Studiums zu malen. Im Umfeld der in jenen Jahren in Zürich überaus präsenten konstruktiv-konkreten Kunst hat er eigenständige konstruktivistische Bildfindungen entwickelt. Bestanden seine frühen, meist mit Öl oder Acryl gemalten Bilder oft aus konzentrischen Anordnungen von geometrischen Grundformen und zeichneten sich durch eine intensive Farbigkeit aus, rückte Mitte der 1970er Jahre die malerische Auseinandersetzung mit Licht und Leuchten in den Fokus seiner künstlerischen Praxis. Während andere Künstlerinnen und Künstler zeitgleich erstmals mit Kunstlicht und Leuchtstoffröhren experimentierten, generiert Peter Somm die Lichtkraft alleine durch die Mittel der Malerei und der Komposition. „Gemaltes Licht“ nennt er seine Gemälde denn auch, die er nach den Begriffen Kreuz, Kreis und Horizont typologisiert. An der Werkschau zeigt er zwei Diptyche. 1094 A / 1049 B (2015) gehört zur Typologie der Kreuzbilder, 1080 A / 1080 B (2012) zu jener der Kreisbilder. In beiden Bildpaaren erzeugt er die Leuchtkraft durch das Moment der optischen Reizüberflutung: Die präzise gemalten, geschichteten Farbreihen erzeugen auf der Netzhaut ein pulsierendes und vibrierendes Leuchten.
Galerie widmertheodoridis, Eschlikon
Ausgangspunkt für Andri Stadlers (*1971/CH, lebt und arbeitet in Luzern) künstlerische Arbeiten ist die Fotografie. Der Künstler, der in den 1990er Jahren an der Hochschule Luzern bildende Kunst studiert hat, spürt mit seinen Arbeiten der Frage nach, wie Wirklichkeit im (fotografischen) Bild konstruiert und repräsentiert wird. Dabei spielt er mit dem Moment der visuellen Irritation und versucht, tradierte Sehgewohnheiten aufzubrechen. Die Werkserie Transition, San Gottardo (2016) beispielsweise ist ein Blick in die tiefschwarz und blau schimmernde Nacht. Zu erkennen ist erst einmal nichts – höchstens der eigene Körper spiegelt sich auf der glänzenden Bildoberfläche. Erst auf den zweiten Blick sehen wir schemenhafte Formen, ein sich abzeichnender Horizont oder die Konturen von den steilen Felshängen des Gotthardmassivs in der dunklen Nacht. Anlässlich der Werkschau präsentiert Andri Stadler neue Arbeiten, die während eines Stipendienaufenthaltes in Berlin entstanden sind. Dabei verlässt er das Medium der Fotografie und experimentiert mit Zeichnung und Video. Die zwölf mit schwarzer Tusche gefertigten Zeichnungen sind nach Fotografien entstanden, die er auf nächtlichen Streifzügen durch Berlin gemacht hat. Die Tuschezeichnungen zeigen fragmentierte Ausschnitte der Stadt. Sie sind Nahsichten auf eine städtische Topografie. Lediglich ab und an erkennen wir Details – die Äste eines Baumes oder einen halbgeschlossenen Rollladen. Sie tragen, so Andri Stadler, „die Erinnerung an die Fotografie in sich“ und sind doch viel mehr als ein blosses Abbild dieser. Ergänzt werden diese zeichnerischen Werke mit der Videoarbeit Ohne Titel, Berlin (2016): Ein weisses Blatt Papier schwebt durch die Dunkelheit einer Berliner Strasse.
Galerie widmertheodoridis, Eschlikon
Sebastian Stadler (*1988/CH/FIN, lebt und arbeitet in Zürich) hat an den Kunsthochschulen in Lausanne und Zürich Fotografie studiert. Der Fotografie ist er treu geblieben, interessiert er sich doch für die dem Medium innewohnenden Fragen zum Wahrheits- und Realitätsanspruch von fotografischen Bildern oder zum, auch monetären, Wert von digitalen Bildern in der gegenwärtigen Bilderflut. Dabei agiert er jedoch längst nicht in allen seinen Arbeiten auch als Fotograf. So hat er beispielsweise 2011 eine Webseite (themostexpensivepicture.com) eingerichtet, auf der jede und jeder ein Bild hochladen kann, sofern bereit, mindestens einen Dollar mehr zu bezahlen, als der Upload des vorangegangenen Bildes gekostet hat. Die durch die Nutzerinnen und Nutzer generierte Bilderfolge thematisiert den Wert von Bildern im digitalen Raum. Für andere Projekte greift Sebastian Stadler auf gefundenes Bildmaterial zurück. So nutzt er für We see the whole picture (2014) die Webcam-Bilder der finnischen Transportbehörde, die verschneite Strassen, Elche oder wunderbare, durch die mangelnde Qualität der Kameras entstandene Lichtreflexe zeigen. Für die an der Werkschau gezeigte Arbeit apparition (2014/15) stand der Künstler selbst hinter der – notabene– analogen Kamera. Für die doppelbelichteten Fotografien hat Sebastian Stadler Landschaften aufgenommen und den vollen Film danach ein zweites Mal genutzt, um die hell leuchtenden Bildschirme von Computern, Tablets oder Smartphones zu fotografieren. Nun blitzen diese als Lichtreflexe oder als verpixelte Flächen in den Fotografien auf und erinnern uns daran, dass heute die meisten Bilder ausschliesslich digital existieren und lediglich auf blauschimmernden Screens angeschaut werden können.
Galerie Adrian Bleisch, Arbon
steffenschöni sind Heidi Schöni (*1953/CH, lebt und arbeitet in Schmidshof TG) und Karl Steffen (*1953/CH, lebt und arbeitet in Schmidshof TG). Seit 1989 arbeitet das Künstlerduo zusammen und konzipiert mit Video, Fotografie und den verschiedensten Materialien oft ortsspezifische installative Arbeiten. Dabei sind sie insbesondere umgetrieben von einer ‚Archäologie der Gegenwart’. steffenschöni spüren zivilisatorischen Hinterlassenschaften nach und interessieren sich für weggeworfene und liegengelassene Materialien, für Reste eines Hausabbruches oder eines Strassenbaus, für die Spuren der Kultivierung der Natur, für schweizerische oder japanische Gärten. Nicht selten führen sie uns dabei aber auch hinters Licht. So stapeln sich in ihrem Atelier beispielsweise vermeintlich ‚versteinerte’ Bücher. Diese sind jedoch nicht die Zeugen jener längst vergangenen Zeit, in der wir noch in Büchern statt auf Tablets lasen, sondern wurden von steffenschöni als archäologische Artefakte fingiert. Auch die an der Werkschau gezeigten Arbeiten fehlstellen (2015/16) und Blub (2016) spielen mit diesem Moment der Täuschung. Gestapelte Styroporplatten, auf Tischen arrangierte Asphaltblöcke und Elemente aus Beton und Zement suggerieren eine Art archäologische Werkstatt. steffenschöni fertigen Objekte, wie sie unsere Nachfahren dereinst vielleicht einmal ausgraben, um wissenschaftliche Schlüsse über die Menschen des 21. Jahrhunderts zu ziehen.
Remise Weinfelden zu Gast in der KVA
Seit 1987 arbeiten Annette Stöcker (*1962/CH) und Christian Selig (*1954/CH) als stöckerselig zusammen. Sie leben und arbeiten in Basel und Zürich. Ihr, wie sie es nennen, „künstlerisches Universum“ sind Zeichnungen, Fotografien, Videos und Texte, die sie zu installativen Arbeiten arrangieren. Diese haben oft einen politischen und gesellschaftskritischen Anspruch, entziehen sich aber einer eindeutigen Lesart. Im Werkzyklus traverser Paris_révolte (2006/07) beispielsweise befragen sie mit Fotografien, Videos, Wandzeichnungen oder unbeschrifteten, hölzernen Demonstrationsschildern den Stadtraum und denken darüber nach, inwieweit sich eine Masse aus einzelnen Menschen durch zivilen Ungehorsam oder mit einer Demonstration Gehör verschaffen kann. Die Videoarbeit good news – bad news (2002) dokumentiert den Ausrufer Urs Marti, der sich eigenmächtig mit seiner Stimme den öffentlichen Raum in Basel erobert hat und nun beispielsweise die Angebote von Restaurants laut vorträgt. stöckerselig haben Marti mit dem Verlesen einer Sammlung von Nachrichten aus der aktuellen Presse beauftragt, die das Künstlerpaar zu Akteuren des Weltgeschehens machen. Für die Werkschau hat das Künstlerduo die Arbeit Zeichen (2016) entwickelt. In der LED-Lichtkugel lesen wir: „...und wenn ich als Betrachter zur Sehenden und das Gesehene Welt wird…“. Am Boden stehen und liegen plastische Gebilde aus rauem Holz, die einen möglichen Zweck nur erahnen lassen. Sie regen uns an, die Zeichen zu deuten und diese dann weiterzudenken. Noch sind wir keine Sehenden, noch bleibt uns dieses Universum unerschlossen. Doch im Blick auf diese fragmentarischen Zeichen nehmen unsere eigenen Geschichten Gestalt an.
Kunsthalle Arbon
Der Computer ist das wichtigste Arbeitsinstrument von Guido R. von Stürler (*1956/CH, lebt und arbeitet in Wallenwil TG), der in den 1970er und 80er Jahren Kurse an der damaligen Zürcher Kunstgewerbeschule und am Central St. Martins College of Art and Design in London besucht hat. Seit 1988 entwickelt er seine Arbeiten ausschliesslich am Computer. Während er diesen früher als bildgenerierendes Instrument nutzte, ist Guido R. von Stürler gegenwärtig umgetrieben von der konstatierten ‚Bilderflut im digitalen Raum und fasziniert von den Möglichkeiten der neusten technischen Errungenschaften. Er nutzt beispielsweise im Netz gefundenes Bildmaterial, das er digital verfremdet oder realisiert Teile seiner Arbeiten mit dem 3D-Drucker. An der Werkschau zeigt er Objekte aus der Serie IKEA (Ideal Kinematic Exercise Assistant), an der er seit 2014 arbeitet und die inzwischen rund sechzig am Computer gefertigte Entwürfe umfasst, von denen nur einige ausgewählte auch umgesetzt wurden. Die Titelgebung und die damit verbundene Assoziation mit dem schwedischen Einrichtungshaus ist bewusst gesetzt. Einerseits bestehen die Arbeiten aus mehreren Einzelteilen, die sich einfach auf verschiedene Weisen kombinieren lassen. Andererseits bedient sich Guido R. von Stürler einer global verständlichen Sprache – die immer wieder auftauchenden Kugeln tragen die traurigen Gesichter von Emojis. Und doch bleibt angesichts des im Stahlfass versinkenden schwarzen Emojis eine Leere und eine Ratlosigkeit, die vielleicht jenem Gefühl gleicht, das uns überkommt, wenn wir jeglichem kulturellen Raum entrückt durch die langen Gänge einer IKEA-Filiale irren.
Remise Weinfelden zu Gast in der KVA
Der Experimentalmusiker und Videokünstler Ernst Thoma (*1953/CH, lebt und arbeitet in Stein am Rhein SH) zeigt an der Werkschau die dreiteilige Videoinstallation Time Layer – Shyama Prasad Murkherji Marg (2013/15). Projiziert auf drei grossen Frames hoch oben zwischen den Rohren und Leitungen der Kehrichtverbrennungsanlage (KVA) in Weinfelden, sehen die Betrachterinnen und Betrachter eine Strassenszene aus Delhi. Ernst Thoma hat an der Shyama Prasad Murkherji Marg – eine Strasse, die an der alten Stadtmauer der Altstadt entlangführt – Filmaufnahmen gemacht. Dabei faszinierten ihn die ungleichen Tempi der verschiedenen Fortbewegungsmittel. Autos, Pferdekarren, Fahrräder, Mofas oder Rikschas bewegen sich in ganz unterschiedlichen Geschwindigkeiten und katapultieren die Reisenden in ganz unterschiedliche Zeitlichkeiten. Die Geschwindigkeit nimmt Ernst Thoma auch in formaler Hinsicht auf. Der Filmausschnitt ist dreifach nebeneinandergestellt, jedoch asynchron und verlangsamt abgespielt. Durch diese technisch generierten ‚Zeitschichtungen’ bewegt sich ein Teil der Gefährte synchron über alle drei Monitore hinweg. Dabei stellt auch das Nebeneinander von Autos und Kutschen, von Motorrädern und von Menschen gezogenen Karren eine Art der zeitlichen Schichtung dar. Auch in der Tonspur ist die geschichtete Überlagerung präsent. Ernst Thoma hat die Originaltöne neu arrangiert, sie verlangsamt, beschleunigt und übereinander gelegt. Diese Gleichzeitigkeit des vermeintlich Ungleichzeitigen prägt auch Ernst Thomas künstlerische Praxis: Neben der Arbeit am Computer oder am Synthesizer malt der einst auch in bildender Kunst ausgebildete Künstler seit einigen Jahren wieder.
Remise Weinfelden zu Gast in der KVA
Ausgebildet an der Kunsthochschule (HSLU) in Luzern, hat Olga Titus (*1977/CH, lebt und arbeitet in Winterthur) in den letzten Jahren eine künstlerische Bild- und Formensprache entwickelt, die einen hohen Wiedererkennungswert aufweist. In ihren poppig-bunten Videos, Fotografien oder Installationen verknüpft sie Themen, die in ihrer eigenen Biografie als Künstlerin und als Tochter einer Schweizerin und eines indischstämmigen Malayen angelegt sind, mit allgemeingültigen Fragen nach der Bedeutung von Heimat oder kulturellen Traditionen oder mit Reflexionen über das Selbstbild als Kunstschaffende. So hat sie beispielsweise in der Einzelausstellung IDEAL ARTIST 2013 in der Kunsthalle Arbon die Anforderungen an die Künstlerin aufgegriffen. Durchaus augenzwinkernd hat sie die Funktionsweisen des Kunstbetriebes beleuchtet und sich in grossformatigen Fotografien als hantelstemmende, konkurrenzerprobte Künstlerin inszeniert. In der Videoarbeit O MY (2014) wiederum präsentiert sie eine wilde, ja fantastische Bildcollage, in der sich traditionelle Darstellungen von Schweizer Trachtenfrauen mit Bildern von hinduistischen Gottheiten vermengen. An der Werkschau zeigt sie die Videoarbeit New Work (2015), in der die Künstlerin einmal mehr Bildfragmente verschiedenen Ursprungs collagiert. Abbildungen aus asiatischen Medizinlehrbüchern überlagern sich mit Bildern von exotischen Masken, Insekten oder von Händen mit grell lackierten Fingernägeln. Dabei referiert Olga Titus mit dieser Bilderfülle auch an digitale Bildwelten, in denen eine einzelne Abbildung, losgelöst von ihrem einstigen Kontext, Raum bietet für subjektive Assoziationen und Interpretationen.
Shed im Eisenwerk, Frauenfeld
Judit Villiger (*1966/CH, lebt und arbeitet in Zürich und Steckborn TG) hat in den 1990er Jahren in Luzern die Ausbildung zur Werk- und Zeichenlehrerin absolviert und an der School of Visual Arts in New York einen Master in bildender Kunst erlangt. In ihrer künstlerischen Arbeit verwendet sie viele verschiedene Medien und Techniken: Sie malt mit Ölfarbe, Wasserfarbe oder Gouache, sie zeichnet mit Grafitstiften, sie fertigt Scherenschnitte oder Objekte aus Polyurethan-Schaum oder Epoxidharz. Seit Frühling 2015 ist sie zudem Initiantin des Haus zur Glocke in Steckborn, wo sie gemeinsam mit Künstlerinnen und Künstlern aus verschiedenen Sparten Ausstellungen, Konzerte und andere Veranstaltungen realisiert. An der Werkschau zeigt sie verschiedene Arbeiten aus dem Werkkomplex Dietrich Reloaded, an dem sie seit etwa einem Jahr arbeitet und der eine künstlerische Auseinandersetzung mit Adolf Dietrich (1877–1957) ist. Dietrich, der in Berlingen am Bodensee gelebt hat, hat die Landschaft am Untersee immer wieder in seinen Zeichnungen und Gemälden festgehalten. „Sein Blick ist Teil meines Bildgedächtnisses“ sagt Judit Villiger. Die grossformatigen Inkjetdrucke aus der Serie Dietrich reloaded sind digitale, collageartige Kompositionen, die auf manuell und digital arrangierten Fragmenten von Dietrichs Gartengemälden aus den 1930er Jahren basieren. Mit der ebenfalls an der Werkschau gezeigten Arbeit De- und Rekonstruktionen zum Nachbarsgärtchen (2015) gibt die Künstlerin einen Einblick in die Strategien des Collagierens und Neuanordnens von Bildfragmenten. Dabei verweist Judit Villiger nicht nur auf ihre eigene Arbeitsweise, sondern auch auf jene von Adolf Dietrich, der insbesondere in seiner Serie zum ‚Nachbarsgärtchen’ fragmentierte Ansichten auf den barocken Garten seines Nachbarn immer wieder neu arrangiert und komponiert hat. Der Garten wird dabei symbolhaft zum Ort des Sammelns und Erntens im künstlerischen Sinne. Für Judit Villiger und für Adolf Dietrich.
Galerie widmertheodoridis, Eschlikon
Heinz Völki (*1954/CH, lebt und arbeitet in Weinfelden TG und Märstetten TG) nutzt Malerei, Zeichnung und Bildhauerei als künstlerische Ausdrucksmittel – nebeneinander oder in wechselnder Folge. Dabei sind Schrift und Zeichen stets wiederkehrende Elemente in seiner Arbeit. Manchmal sind es einzelne Buchstaben, Worte oder Worterfindungen, manchmal ein Gekritzel, das linear skizzenhaft oder spielerisch flächig verdichtet ist. Für seine Werke nutzt Heinz Völki verschiedene Gesteinsarten, die ihn auch wegen der Zeitlichkeit, die in den geologischen Prozessen ihrer Entstehung steckt, faszinieren. Oft sind seine Skulpturen über und über bedeckt mit herausgemeisselten Zeichen oder Buchstaben, die er mit scheinbarer Leichtigkeit der Schwere des Materials entlockt. Heinz Völkis Interesse für die Buchstaben und Zeichen ist einerseits von formaler Art, steht aber auch für das kommunikative Moment. So formen die Buchstaben bisweilen ein bestimmtes Wort, das der Arbeit den Titel gibt: Hoffnungsscheibe, Als da noch etwas war oder Blumenlied und Bienentau nennt er seine Arbeiten. Und plötzlich werden aus den Buchstaben Wörter und aus den Wörtern Geschichten.
Remise Weinfelden zu Gast in der KVA
Herbert Weber (*1975/CH, lebt und arbeitet in St. Gallen und im Toggenburg SG) hat an der Zürcher Hochschule der Künste Fotografie (ZHdK) studiert. Die Fotografie, ihre technischen Möglichkeiten und ihr bildgenerierendes Potential sind es, die ihn in seiner künstlerischen Arbeit umtreiben. Mit einem oft humorvollen, auch ironischen Gestus thematisiert Herbert Weber die Beziehung zwischen der Fotografie und der Realität, die sie vermeintlich abbildet, und fragt nach seiner Rolle als Autor und Fotograf in den künstlerischen Arbeitsprozessen. Mit Rietberg ohne Blitz (2015) beispielsweise führt er uns vor Augen, was auf einer ohne Blitzlicht gefertigten Fotografie zu erkennen ist – nämlich nicht viel. Die Darstellung einer spärlich bewachsenen Dünenlandschaft nennt er Ort gefunden, aber keine Idee (2015) und verweist auf den Kreativitätsdruck, dem Kunstschaffende in ihrer Arbeit mitunter ausgesetzt sind. In früheren Bildserien wie Weiterführung der Arbeit (2004/05) setzte er sich als bildsuchender Autor immer wieder selbst ins Bild und bediente die Kamera per Fernauslöser. An der Werkschau zeigt er die Arbeit fingerprints (2016): Eine Serie von fotografierten I-Pad-Touchscreens, auf deren schwarz glänzenden Oberflächen Finger ihre Abdrücke hinterlassen haben. Abdrücke, die kaum etwas über die eigentliche Nutzung des Gerätes verraten – haben die Finger bei Amazon ein Buch oder im Darknet eine Waffe bestellt? – und die sich leicht wegwischen lassen. Herbert Weber deklariert diese Gebrauchsspuren als Bilder und verweist auf sein Interesse am Suchen und Finden der Kunst im Alltäglichen. Zugleich schwingt in der Arbeit auch die Tatsache mit, dass heute die Mehrheit der Fotografien nicht nur mit elektronischen Tablets gemacht wird, sondern später zumeist auch auf deren wahlweise sauber polierten oder fettig-schmutzigen Oberflächen betrachtet wird.
Shed im Eisenwerk, Frauenfeld